Zeitzeugenberichte    - Familie und Gesellschaft -

 

Helga

E
in Frauenleben in der BRD von 1949 bis zur Gegenwart   - Hausfrau, Mutter, Lehrerin

Nur wenige Tage vor der Staatsgründung der DDR kam mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft. Er ließ sich nicht zu meiner Mutter und mir nach Sachsen-Anhalt entlassen, sondern in seine Heimatstadt Ostwestfalen. 

Durch Bomben hier und auf der Flucht aus dem Osten dort – meine Mutter war 1942 mit mir in die damals sehr friedliche Heimat ihrer Familie übergesiedelt bzw. evakuiert worden -, besaßen wir buchstäblich nichts. 

So reisten wir mit zwei Einkaufstaschen von dem kleinen Dorfbahnhof im Kreise Delitzsch ab nach West-Berlin, blieben einige Tage dort – in der Wohnung der beiden Schwestern meiner Mutter – und wurden dann mit einem Kohlentransportflugzeug der US-Luftbrücke von Berlin-Tempelhof nach Lübeck aus Berlin herausgeflogen. 

So kamen meine Mutter und ich, verrußt und verdreckt – was wir angezogen hatten, war unsere einige Kleidung – aus dem Kohletransporter und fuhren weiter mit dem Zug nach Ostwestfalen. 

Hier begann unser Leben in der gerade gegründeten Bundesrepublik. Wir konnten vorübergehend bei Verwandten meines Vaters wohnen, und für mich begann ohne großen Verzug das Schulleben hier. Ich hatte vier Jahre „Russisch“ gelernt und so gut wie kein „Englisch“, dafür hatte es keinen Lehrer gegeben, und nun musste ich erstmal die Fachoberschulreife, damals „mittlere Reife“ genannt, machen und 5 Jahre Englisch nachlernen.

Zwei Jahre später hatte ich dieses Ziel erreicht. 

Mein Vater war Volksschullehrer, er hatte inzwischen auch wieder seinen Platz in der Schule gefunden. 

Wenn man sich in  s e i n e r  Familie nach den Berufen umschaute, konnte man sagen: er stammte aus einer Textilerfamilie. Ich wollte eine Ausbildung im Damenschneider-Handwerk machen. – Ein starkes Motiv war die Tatsache, dass wir aus Geldmangel schlecht angezogen waren, und ich mit dem Erlernen des Schneiderhandwerks diesen Zustand zu ändern hoffte. Mode, Farben, Formen – darin konnte ich schwelgen. Meine Mutter blieb immer vor den Schaufenstern mit Lebensmitteln stehen, mich faszinierten die Textilgeschäfte. 

Es gab aber keine Ausbildungsplätze, trotz der Beziehungen, die es durch die Familie gab. 

So machte ich eine zweijährige Ausbildung in der Textilindustrie bei der Firma D. und ging danach in eine dreijährige Textilfachschulausbildung, war danach Textiltechnikerin mit vielmehr Ambitionen zum Design und mit der Möglichkeit, eine Stelle als leitende Direktrice zu bekleiden. Ich begann diese „Karriere“ in einem damals europaweit bekannten Unternehmen als Betriebsassistentin. Mein direkter Vorgesetzter war ausgebildeter „Zuschneider“ mit langjähriger Betriebserfahrung. Zuständig für Stellen, an denen geplant, organisiert, designt, entschieden wurde, waren männliche Kollegen. Frauen waren Näherinnen und Büglerinnen. 

Ich wurde anfangs mit großem Misstrauen betrachtet, aber irgendwie bekam ich mit, dass man doch damit rechnete, dass ich mich verheiraten und dann ja nicht mehr arbeiten würde. Ich wurde schließlich auch ganz offen nach eventuellen Heiratsplänen gefragt. 

Mein Abschluss der „Höheren Fachschule“ beinhaltete auch die Möglichkeiten zu einem Hochschulstudium. Ich gehörte zu den ersten Jahrgängen, die über den „zweiten Bildungsweg“ - der damals noch sehr wenig bekannt war – ein Hochschulstudium aufnahmen. 

Ich habe in Berlin studiert, das war der Wunsch meiner Eltern. Zum einen lebten hier zwei unverheiratete Schwestern meiner Mutter, die sollten für mich Bezugspersonen sein – und zum anderen kostete es in Berlin wegen des Sonderstatus dieser Stadt keine Studiengebühren, wenn man in der Regelstudienzeit fertig wurde. 

Für mich war diese Studienzeit eine sehr schöne Zeit. Ich wohnte nicht weit vom Ernst-Reuter-Platz in der Otto-Suhr-Allee; in dem Gebäude, das damals wie heute das Theater „Tribüne“ beherbergt. In diesem schönen, alten Gebäude hatte die „Carl-Duisberg-Gesellschaft“ ein Studentinnenheim, das Victoria-Studienhaus“. 

Hier wohnten ca. 150 junge Frauen im Alter zwischen 10 und 30 Jahren, die studierten oder sich in einer einjährigen Fachschulausbildung auf die Ehe und das Führen eines repräsentativen Haushalts vorbereiteten. Das waren unsere „echten höheren Töchter“, so allgemein von uns anderen benannt. 

Über Tag waren Besuche gestattet; die Besucher mussten sich beim Pförtner, der in schönem Ambiente in einer Loge saß, in das Besucherbuch eintragen und nach bestimmter Besuchszeit wieder austragen. Dass auch Herrenbesuche gestattet waren, fanden wir sehr fortschrittlich und modern. Alles in allem, wer hier wohnte, war behütet und nicht nur das. Programm des Hauses war, wie bei allen Einrichtungen der Carl-Duisberg-Gesellschaft, es sollten internationale, berufliche und freundschaftliche Beziehungen geknüpft werden – also waren 40-50 % der Bewohnerinnen nicht aus Deutschland. Sie kamen aus Spanien (damals Franco-Spanien), Griechenland, USA, Persien (damals das Persien des Schahs), Frankreich. Allen gemeinsam war, dass ihre Familien den Mut und vor allem das Geld hatten, ihre Töchter in den 50er Jahren in Berlin ausbilden zu lassen. 

Ich war sozusagen durch „Beziehungen“ in dieses Haus eingezogen. D.h. eine Freundin aus der Fachschulzeit, die auch meine Kommilitonin geworden war, hatte für uns diese Möglichkeit mit Hilfe ihres Vaters eröffnet. Es war das erste Mal in meinem Leben nach dem Krieg, dass ich ein sehr schönes Zimmer für mich allein hatte, und ich habe das sehr genossen. 

In allen Semesterferien habe ich von Anfang bis Ende in der Textilindustrie in der Näherei Akkord gearbeitet. 

Mein Vater hat damals die Hälfte seines Volksschullehrergehaltes – es betrug ca. 400,-- DM netto – für die Dauer von 4 Jahren für mich ausgegeben. Das habe ich aber erst erfahren, als ich fertig war mit dem Studium und der Referendarzeit. 

Mein erstes Gehalt Anfang der 60er Jahre betrug 700,-- DM netto, und ich kam mir vor wie ein König. (Ein sehr gut bezahlter junger Diplom-Ingenieur bekam damals etwa 1.000,-- DM.) 

Von meinem ersten Geld kaufte ich mir eine moderne elektrische Nähmaschine, um – wie bisher auf einer Tretnähmaschine – mir meine Kleidung und auch die meisten Kleider für meine Mutter selbst zu nähen.

Ich hatte mich während des Abschlussexamens in Berlin mit einem Kollegen bzw. Kommilitonen verlobt. Da es in Berlin keine Stellen gab, gingen mein Verlobter und ich nach „Westdeutschland“.

Mein Vater hätte es gern gesehen, wenn ich in unserer Heimatstadt ins Referendariat gegangen wäre; da ich aber hier während meiner Lehrzeit zur Berufsschule und später auch zur Fachschule gegangen war, befürchte ich, dass meine ehemaligen Lehrerinnen, wenn ich an ihre Schule käme, mich wieder als Schülerin und nicht als zukünftige Kollegin „sehen“ würden. So beschlossen wir – mein Verlobter und ich – uns in einem anderen Regierungsbezirk in NRW zu bewerben.

Wir wurden auch beide angenommen. Unser Studienseminar war in der gleichen Stadt, aber die für mich zuständige Ausbildungsschule war die Städt. Berufs- und Berufsfachschule in …., ca. 30 km von der Bezirksregierung entfernt. Den „verlobten Zustand“ betrachteten wir als Privatsache und sprachen mit niemandem darüber, was sich später als sehr brauchbar erwies. In …. bezog ich unweit der Schule ein möbliertes Zimmer, das mir die Schule bzw. das Schulbüro besorgt hatte. 

Ich war über den 2. Bildungsweg in das Studium gelangt, d.h. ich hatte die allgemeine Hochschulreife und einen Beruf, ehe ich anfing zu studieren. Meine Studienfächer waren Geschichte/Kunstgeschichte und Textiltechnik. Eigentlich war diese Berufsschule durch die ansässige Industrie genau passend für meine Studiengänge, aber aktuell gebraucht wurde eine Lehrkraft für Hauswirtschaft, also wurde ich durch Hospitationen und Lehrproben „umgestrickt“ auf eine Lehrkraft, die im Bereich Hauswirtschaft unterrichten konnte. Mir kam das sehr zu Gute, zudem wurde ich auch gebeten – und dem konnte man sich keinesfalls entziehen – im örtlichen Krankenhaus zu arbeiten, um auch für den im hauswirtschaftlichen Fächerkanon üblichen Krankenpflege- und Säuglingspflegeunterricht gewappnet bzw. ausgebildet zu sein. So machte ich für den Zeitraum eines Jahres während meiner Referendarzeit Wochenend- und Wochenendnachtdienste auf der Entbindungs- und Kinderstation des Krankenhauses.

Mein zweites Staatsexamen machte ich dann allerdings unter Regie des Seminarbetriebes in …. wieder als Textilerin zum Thema „Methodik und Didaktik des Mathematikunterrichts in Klassen für Spinner und Weber“.

So verlief die gesamte Referendarzeit außerordentlich arbeitsreich, vielseitig und lehrreich. Nach einem halben Jahr Referendarzeit bekam ich eine Mitreferendarin. Nun durften wir beide auch in das Lehrerzimmer und auch an einem bestimmten Tisch sitzen.

In meinem ersten halben Jahr musste ich immer vor dem Lehrerzimmer warten, bis meine Mentorin oder der Fachleiter mich ins „Allerheiligste“ (Lehrerzimmer) mitnahm.

Von der Tatsache, dass in irgendeiner fernen Zeit mal die Heirat im Programm stand, habe ich nie gesprochen, da ich auf einer einwöchigen Tagung, auf der nur junge Lehrerinnen waren, eine starke Aggressivität gegenüber den Kolleginnen bemerkte, die als verlobt galten. Verheiratete junge Kolleginnen habe ich in diesen Jahren keine einzige entdeckt. – 

Wer geheiratet hatte, ging aus dem Dienst.

Nach dem zweiten Staatsexamen gab es für mich zwei Stellen zum Aussuchen; im Ruhrgebiet die eine, die andere auf der Grenze zum Ruhrgebiet zum Münsterland. Ich kannte beide Orte nicht und wählte die letztere, da sie etwas näher zum Dienstort meines Verlobten lag (70 km entfernt). Er hatte dort ein möbliertes Zimmer.

An meiner „neuen Schule“ war ich nun wieder Textilerin und in diesem Fachbereich zuständig für Damenschneiderinnen, Industrienäherinnen, Putzmacherinnen im ausbildungsbegleitenden Unterricht. Daneben wurde jetzt, zu Beginn der 60er Jahre, an allen Berufsschulen, Berufsfachschulen und Berufsaufbauschulen installiert und so unterrichtete ich auch Geschichte und Kunstgeschichte sowie Textilfachliches in Theorie und Praxis an der zweijährigen Berufsfachschule für Mädchen. Samstags und abends unterrichtete ich an der Berufsaufbauschule für junge Facharbeiter aus den Chemischen Werken in …. und umliegenden Zechen.

Hier unterrichtete ich – wie sich herausstellte – mit viel Erfolg im Fach Chemie. Da diese Situation für die Arbeit an Berufsschulen damals war, will ich diese Episode erzählen.

Es war folgendes Gespräch vorausgegangen:

Mein Schulleiter sagte zu mir: Sie sind doch Textilerin, da können Sie doch auch „Chemie“. „Ja, Textilchemie, davon habe ich sehr begrenzt Ahnung.“ „Ja, dann setze ich Sie jetzt in den Berufsaufbauschulklassen im Chemieunterricht ein, da habe ich sonst niemanden.“

Ich habe noch etwas hilflos versucht, dem Chef klarzumachen, dass Textilchemie organische Chemie sei, die Schüler aber im Wesentlichen mit anorganischer Chemie zu tun haben würden, und ich für diesen Bereich nicht zuständig sei.

Nun, es half nichts, ich war zwar in einer Planstelle, aber noch nicht verbeamtet. Also stellte ich mich darauf ein und bereitete meinen Unterricht vor, immer so ca. 4 Stunden für eine Stunde Unterricht. Aber am Ende – nach 2 ½ Jahren – konnten wir es alle richtig gut, die Schüler und ich auch. Meine Schüler waren im Alter von 20 – 30 Jahren und damit im Schnitt mit mir gleichaltrig.

Es war ein unwahrscheinlich gutes Arbeiten. Da es an der Berufsschule damals nur wenig Utensilien für den Chemieunterricht gab, wohl verschiedene Gläser, Bunsenbrenner, aber keine Substanzen, mit denen man arbeiten und etwas zeigen konnte – brachten die Schüler, besonders die Chemielaboranten je nach Thema Substanzen und Geräte mit, bauten sie auf, halfen beim Ab- und Aufräumen.

Wir waren ein Arbeits-„Team“, eine Auffassung vom Unterricht, die in den 80er Jahren mehr und mehr verloren ging.

In diesen Klassen gab es damals etwa 10 – 20 % Mädchen. Bei einer Feier fragte mich eine dieser Schülerinnen – sie war etwa 23 und verlobt – ob ich mich denn nicht auch noch verheiraten wolle, ich sei doch sicher schon älter als 25 und da sei es doch Zeit. Und wenn ich noch einen netten Mann mitkriegen wolle, na ja ….

Sie war die einzige Person, der ich diesbezüglich eine befriedigende Antwort gegeben habe, und sie hat – ganz solidarisch – dicht gehalten.

Wir Berufsschullehrer unterrichteten damals 28 Wochenstunden und durften 4 Überstunden machen. Mit Genehmigung der Bezirksregierung machte ich 8 Überstunden, einfach weil wir jungen Lehrer gebraucht wurden und nun ganz besonders die Textiler. In diesen Jahren habe ich das niemals als „zuviel“ empfunden – es machte mir einfach Spaß. Etwa 3-4 Jahre vorher bekam man keine Planstelle. Mitte der 60er Jahre hatte die große Welle der Pensionierungen an den Berufsschulen eingesetzt, und der alte Typ des Berufsschullehrers war dabei auszusterben.

Aus bildungspolitischen Gründen hatte man die Studiengänge der Berufsschullehrer an die der Gymnasiallehrer angepasst, die Fächerung von den Pädagogischen Hochschulen an die Universitäten verlegt und von diesen Studenten gab es noch viel zu wenige, denn in den 50er und 60er Jahren ging man nach dem regulären Abitur zur Uni, nicht in eine berufliche Ausbildung. Dieser Weg in den Sekundarbereich-II-Bereich der Schulen war wenig bekannt, vorwiegend bei den jungen Berufsschullehrern, die daher zum größten Teil über den 2. Bildungsweg kamen.

Aber zurück zu meinem Leben in ….

Genauso wie in meiner Referendarschule hatte mir auch hier das Schulbüro ein möbliertes Zimmer besorgt, bei einem Schneidermeister. Wohnung und Werkstatt lagen im ersten Stock, unten wohnten seine beiden unverheirateten Schwestern, zwei Damen von etwa Mitte 50 Jahren, die einen kleinen Kolonialwarenladen betrieben. Für sie war ich das „Fräulein vonner Kochschule“. Bei meinen Einkäufen erfuhr ich viel über die Nachbarn und über Kollegen, die auch dort einkauften. Das war ganz amüsant und nützlich. So erfuhr ich auch, dass eine unverheiratete Kollegin, die ich nicht mehr persönlich kennen gelernt hatte, wegen einer Schwangerschaft erst entlassen und später fernab im Lande Hessen wieder untergebracht worden sei - denn nun würde sie ja keinen Mann mehr kriegen und müsse für das „arme Kindchen“ sorgen.

Mein Vater war mir ein guter Ratgeber. Ihm war daran gelegen, dass ich meinen Beruf festhalten konnte. Er hatte diese finanzielle Mammutleistung für mein Studium erbracht, und ich hatte sichtlich Freude und Erfolg bei meiner Arbeit. Also hörte ich auf seinen Rat, und wir heirateten erst, nachdem ich „Beamtin auf Lebenszeit“ geworden war.

Als ich meinem Chef ca. 14 Tage vor meiner Heirat mitteilte, dass ich mich verehelichen werde, hatte ich Angst er kippt um. Nachdem er sich wieder gefasst hatte, konnte ich ihn aber beruhigen, das ich mich nicht auszahlen lassen würde, und wenn ich es täte (oder fiktiv irgend eine andere Kollegin), dann würde es nicht mehr die Stadt treffen, dieses Geld aufzubringen, sondern das Land NRW, da wir vor kurzer Zeit von Kommunalbeamten zu Landesbeamten geworden seien.

Eine Lehrerin, die schon beamtet war und dann aus dem Dienst ging, war für eine kleine Stadt damals eine halbe Katastrophe, weil sie den kleinen Stadtsäckel mit ca. 2.000,-- DM Abfindung belastete. Und der Schulleiter, der die Verbeamtung veranlasst hatte, bekam Ärger mit der Stadt.

Na ja, ich blieb nicht die einzige Frau im Kollegium, die sich verheiratete. In einem Kollegium von ca. 70 Lehrkräften waren wir nach zwei weiteren Jahren 4 junge Lehrerinnen, die verbeamtet waren und im Dienst bleiben wollten. Wir trafen uns regelmäßig zum Kaffee oder zum Tee. Zwei von uns waren mit jungen Anwälten verheiratet und zwei mit Kollegen, die aber aus Stellenmangel für manche Fachrichtungen in weiter entfernten Kommunen unterrichteten und erst spät nach Hause kamen. Tenor in diese Gesprächsrunde war: wie gut, dass mein Mann nicht viel zu Hause ist, er soll ja nicht merken, dass er eine berufstätige Frau hat.

So wurde sich also mit Hausarbeit, Vorbereitung und Korrektorarbeit für die Schule in den Stunden, in denen der Ehemann nicht zu Hause war, überschlagen. So etwas wie Aufforderung, im Haushalt mitzuhelfen, wurde vermieden - denn üblicherweise bestimmte der Ehemann nicht nur den Wohnort, er bestimmte auch, ob „sie!“ berufstätig sein konnte, ohne den Haushalt zu vernachlässigen. Das war gesetzlich so. Die Ehe meiner besten Freundin, einer engagierten Mathematikerin ist daran gescheitert, dass sie nach Aufziehen von drei Kindern in ihren Berufs zurückkehren wollte. Das war Ende der 70er Jahre.

Schließlich wollten mein Mann und ich dann doch mal beruflich an einen Ort ziehen. Da war in …. die Kreisberufsschule im Bau, eine Schule mit ca. 110 – 120 Lehrkräften und zwei völlig voneinander unabhängigen Bereichen, dem gewerblich-technischen und dem frauenberuflichen.

Da die beiden Bereiche auch räumlich getrennt waren, getrennte Lehrerzimmer und Vorbereitungsräume hatten, nie in gleichen Klassen unterrichten würden, konnten wir uns an diese Schule bewerben. – Ehepaare durften ansonsten nicht an einer Schule sein. – Wir wurden beide gebraucht und beide genommen, mit dem Unterschied, dass mein Mann aus seiner Schule sofort frei kam, ich aber so eingebunden war in der Arbeit meiner Schule, dass ich erst meine Klassen zu Ende führen sollte und auch wollte; ich kam also erst ein halbes Jahr später an die neue Schule.

Der neue Chef begrüßte mich mit den Worten: „Ach, das ist aber schön, Sie wollen uns ein bisschen helfen.“

Wenn nicht alles „geregelt“ gewesen wäre, wäre ich sicherlich nicht an diese Schule gegangen, sondern hätte mich auf dem Absatz umgedreht.

Ich blieb also, unterrichtete wieder in Textilerklassen, in Friseurklassen und in Fachschulklassen. Ab Ende der 60er Jahre, also schon nach kurzer Zeit, wurden die Textilerklassen in die Berufsschulen im Stadtzentrum verlegt, da eigene fachlich differenzierte Klassen nicht mehr zustande kamen. Die textile Produktion wurde in Billigländer ausgelagert. Bald darauf wurden die Friseurklassen abgegeben, und wir erhielten die Fachoberschule mit den Zügen Sozial-Pädagogik, Ökotrophologie, Elektrotechnik usw. Für die Aufnahme dieser Bildungsgänge waren die Berufsschulen nur ungenügend vorbereitet. Es fehlten vor allem Lehrer mit den Lehrbefähigungen für Mathematik, Deutsch, Englisch, Französisch. Da der typische Berufsschullehrer – bedingt durch seine Ausbildung – ein Fach aus seinem Berufsleben mit in die Uni hinein und als verwissenschaftliche Lehrbefähigung wieder herausgebracht hatte, gab es genug Leute mit der Lehrbefähigung für Chemie, Physik usw. Aber die Sprachler fehlten. Ende 1970 bin ich für 4 Jahre – vorgesehen waren 6 Jahre – aus dem Schuldienst in die „Beurlaubung“ gegangen, da wir eine kleine Tochter bekommen hatten.

1971/72 begann der Bau der Uni in xxx. Ich ließ mich also 1971 wieder immatrikulieren. Das war zunächst noch ein Kontaktstudium über die Uni Aachen, da das Gebäude noch nicht fertig war. Ich belegte die Fächer Linguistik und Literaturwissenschaften und bin, nachdem ich 1974 wieder mit einer halben Stelle angefangen habe, 1980 mit diesem so nebenher gemachten Studium mit einer Staatsprüfung im 3. Studienfach fertig geworden.

Ende 1970 bestand erstmals die Möglichkeit, dass sich eine Beamtin wegen eines Kindes beurlauben lassen konnte, d.h. nicht gezwungen war, sich auszahlen zu lassen. Alle meine Freundinnen, die vor mir ihre Kinder geboren hatten und vorübergehend zu Hause bleiben wollten, mussten sich auszahlen lassen.

Ich gehörte mit zu den ersten Berufsschullehrerinnen, die sich bis zu 6 Jahren beurlauben lassen konnten. Aber schon nach vier Jahren wurde diese Sache eingeschränkt. Man musste nicht seinen „Abschied“ nehmen, aber wenn man länger als vier Jahre beurlaubt blieb, verlor man die Planstelle an seiner Schule und hatte dann nur noch Anspruch auf „irgendeine“ Stelle. Im Klartext hieß das, dass man nach 6 Jahren auch an eine Schule weit weg vom Wohnort, also irgendwo in NRW eingesetzt werden konnte. Da wir inzwischen gemeinsam mit meinen Eltern ein Haus gebaut hatten, wollte ich das nicht riskieren. Also ging ich „ungeplant“ – als meine Tochter vier Jahre alt war – wieder mit einer halben Stelle an meine Schule zurück.

Als meine Tochter etwa 17 Jahre alt war, bin ich wieder in die volle Stelle zurückgekehrt. Eher war es nicht möglich, es gab inzwischen mehr junge Lehrer als passende offene Stellen. 

Erst als eine Lehrkraft gesucht wurde, die auch „Deutsch für Ausländer“ geben konnte – der Anteil nicht deutschsprachiger Schüler war inzwischen sehr hoch geworden - der Bereich der Linguistik schafft dafür gute Voraussetzungen, konnte ich wieder voll in die Schule zurückkehren.

Später gab es des Öfteren Situationen, in denen diese oder jene Aufgabe im schulischen Bereich übernommen werden musste. Nur eine dieser Episoden will ich erzählen:

Als ich einmal zu einer Aufgabe vom Kollegium gewählt worden war, hat mich mein Chef danach zu sich gebeten und mir gesagt, er möchte diese Aufgabe anders delegieren. „Auch wenn Sie gewählt sind, so muss ich eben die Person für dieses Amt „bestimmen“. Zweimal … mit Karriere, das kommt mir ja nicht in Frage.“ (Mein Mann war inzwischen beruflich aufgestiegen.)

- Und irgendwie wollen wir Männer ja auch noch eine Frau zu Hause haben, die die Bratkartoffeln macht.

Nach allem, was in den Jahren zuvor so gelaufen war, insbesondere zum Thema „Karriere der Frauen“ hat mich das zwar im Moment geschockt, lag aber durchaus im Bereich dessen, was ich für möglich gehalten habe. Ich musste aber sehr mit dem Kopf gegen meine Wut anarbeiten.

Mehrmals in meinen insgesamt 33 aktiven Berufsjahren hat es Beförderungsstellen an meiner Schule gegeben, die auf mich gepasst haben. Zweimal habe ich die Beförderungsprozedur mitgemacht; es wurde immer ein Mann bei gleicher Leistung genommen, immer mit der Tendenz, er sei doch der Ernährer seiner Familie und ich nur die Doppelverdienerin, und das sähe ich doch sicher auch so, dass ein Mann vorginge. Ich habe es natürlich nicht so gesehen. Am meisten hat mich beeindruckt, dass die zuständige Frauenbeauftragte sich den Wünschen des männlichen Schulleiters immer anpasste, obwohl sie sicher von der Sache her sah, was gespielt wurde. Aber sie war geprägt von dem Bild der Frau im Beruf, das ich aus meinen beruflichen Anfängen in den 60er und frühen 70er Jahren kannte.