Zeitzeugenberichte
- Ausbildung und Beruf -
Klaus
Berufe, Veränderungen, Neubeginn
Meine erste Tätigkeit nach Ende des
Studiums war die Assistentenstelle des Verkaufsleiters einer großen
heimischen Webereigruppe. Offensichtlich hatte niemand eine rechte
Vorstellung von meiner Tätigkeit. Zwar wurde ich zu Anfang den jeweiligen
Sachbearbeitern zugeteilt, um deren Arbeit kennen zu lernen. Auf meine
behutsamen Hinweise, dass man dieses oder jenes vielleicht effektiver
machen könnte, wurde nicht reagiert oder wenn ja nur mit Unmut.
Nach einiger Zeit musste ich mir
regelrecht Arbeit suchen, da der Chef mich an sehr langer Leine laufen
ließ. Ich hatte keine Lust, als Sachbearbeiter zu enden. Meine Stimmung
war nicht zum Besten. Als der Chef das merkte, bekam ich konkrete Aufgaben
zugeteilt, den jährlichen Geschäftsbericht für die Geschäftsleitung zu
erstellen, die Verkaufsprospekte mit Farbtabellen vorzubereiten und die
jährliche Bestandsbewertung vorzunehmen. Zufriedener wurde ich erst, als
das Unternehmen auf die EDV umgestellt wurde und ich diese Aufgabe
innerhalb der Abteilung vorzunehmen hatte. In diesem Zusammenhang ist zu
erwähnen, dass diese Verkaufsabteilung ein jährliches Umsatzvolumen von
etwa 50 Mio. DM erwirtschaftete und einen Personalbestand von 30
Mitarbeitern hatte.
Wenn ich die Zeit heute, Anfang 2004,
beurteilen soll, muss ich sagen: unbefriedigend.
Anfang 1969 suchte ein junges,
gerade gegründetes Handelsunternehmen des Computervertriebs einen
Mitarbeiter mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen. Seine Aufgaben
waren die Verkaufsunterstützung der Außendienstmitarbeiter, die
Beratung der Kunden und die organisatorische Begleitung bis zum
Einsatz der EDV-Systeme. Wie für mich geschaffene Aufgabengebiete.
Ich bewarb mich und bekam die Stelle, Beginn 1. April 1969.
Wir waren ein junges Team, alle fast im
gleichen Alter. Unser gemeinsames Ziel war es, dieses junge Unternehmen,
an dem sich ein namhafter heimischer Unternehmer als Kapitalgeber
beteiligt hatte, so schnell wie möglich in die Gewinnzone zu bringen.
Selbstverständlich war ein Arbeitstag von 10 Stunden. Wenn es nötig war,
haben wir samstags und auch sonntags gearbeitet.
Vertrieben wurden von uns Computer der
mittleren Datentechnik, im wesentlichen Magnetkonten-Computer mit und ohne
angeschlossener Peripheriegeräte wie Lochkartenlese- und Stanzgeräte
aber auch schnelle Drucker. Zielgruppe war die mittelständische
Wirtschaft aller Branchen und Größen.
Mit dem Einführen dieser
Organisationsmittel war es zum ersten Mal möglich, komplexe
betriebswirtschaftliche Aufgaben zu lösen, für die bis dahin ganze
Abteilungen zuständig waren. Das Schreiben von Rechnungen wurde
integriert mit dem gleichzeitigen Buchen der Forderung, wobei die dem
Kunden zugestandene Kreditobergrenze kontrolliert wurde. Mit dem gleichen
Arbeitsgang wurden die permanente Bestandsführung im Warenausgang
erfasst, die Bruttoertragsrechnung pro Kunde, Artikel und Artikelgruppe
vorgenommen. Den Unternehmen standen auf einmal Steuerungsinstrumente zur
Verfügung, die bis dahin, wenn überhaupt, nur mühsam und mit großem
Personalaufwand zu erstellen gewesen waren.
Sobald eine Anlage inklusive
funktionierender Software beim Kunden eingesetzt war, gingen wir in unsere
Stammkneipe, um den Erfolg zu feiern.
Doch wie mühsam und lang war der Weg
bis dahin. An Standard-Software war nichts vorhanden, auf das wir hätten
zurück greifen können. Alles musste organisatorisch vorbereitet und dann
programmiert werden.
Junge Kollegen, nur zum Teil mit
kaufmännischer Ausbildung, wurden in der Zentrale in Karlsruhe zu
Programmierern ausgebildet. Diese Grundausbildung dauerte 6 Wochen. Erst
danach konnten wir feststellen, wer sich mehr oder auch weniger zum
Programmieren eignete. Danach eingesetzt wurden alle Ausgebildeten, denn
die Kosten für Schulung, Unterbringung und Spesen waren enorm. Ohne den
Kapitaleinsatz unseres stillen Gesellschafters hätten wir diese erste
Phase schon nicht überstanden. Etwas erleichtert wurde diese erste Zeit
dadurch, dass wir auf ein befreundetes gleichgelagertes Unternehmen in
Münster zurück greifen konnten, das etwas länger existierte. Die
Programmierer dort nahmen unsere Frischlinge an die Hand, um erste eigene
Erfahrungen weiter zu geben. Ganz wichtig war die auch für Dritte
nachvollziehbare Dokumentation der Organisations- und Programmierarbeiten.
Spätere Reklamationen der Kunden wurden vermieden. Vor der Realisierung
der Aufgabe wurde ein umfangreiches Pflichtenheft erstellt, dass die
Aufgaben beschrieb, die organisatorische Lösung aufzeigte und das dazu
nötige Formularwesen umfasste. Dieses Pflichtenheft wurde vom Kunden
unterschrieben und damit als richtig bestätigt. Auch das mussten wir erst
lernen.
Ich erinnere mich an die Umstellung auf
EDV für einen Eisen- und Stahlhandel. Der Geschäftsführer war nebenbei
auch Bürgermeister und engagierter Politiker einer Vorortgemeinde. Ein
für uns wichtiger Mann und Unternehmen, das wir als Referenz gut
gebrauchen konnten. Mit viel Mut und wenig Ahnung von der Branche haben
wir uns an die Aufgabe gemacht. Zu Anfang wurde uns gesagt, dass für die
Preisfindung der Rechnungen drei Kataloge zu wälzen seien und man sich
nicht vorstellen könnte, wie dieses Problem zu lösen sei. Auch wir
hatten zu Anfang keine Ahnung. Ein Pflichtenheft war nicht erstellt
worden. Der Zeitaufwand für die Organisation und Programmierung war
einfach nicht zu "fixieren. Und doch hatten wir uns auf einen
Festpreis eingelassen. ( Diese Erfahrung war auch Auslöser, künftig nur
noch Pflichtenhefte zu erstellen, um Zusatzkosten und damit zu erwartende
Verluste zu vermeiden. )
Die Aufgaben waren komplexer als wir es
uns vorgestellt hatten. Mit jedem Tag wuchs der Druck. Unser
Kostencontrolling zeigte uns genau den Tag auf, an dem wir in die
Verlustzone geraten würden. Das stachelte uns enorm an.
Als unser Kunde erkannte, dass es gar
nicht voran gehen wollte, besuchte er uns, gemeinsam mit seinem
Rechtsanwalt, um sowohl Druck auszuüben, was sicherlich nicht nötig war,
als auch auf möglichen Schadensersatz hinzuweisen. Mein Chef war zum
Zeitpunkt des Gespräches nicht da, so dass ich diese sehr unangenehme
Auseinandersetzung führen musste.
Fazit der Durchführung dieses Auftrages
für uns war:
- mehr Zeit in die organisatorischen
Vorarbeiten zu investieren
- sich diese Zeit generell bezahlen zu
lassen
- ein Pflichtenheft zu erstellen und
dieses vom Kunden auf Ordnungsmäßigkeit unterschreiben zulassen.
Das positive Ergebnis dieses Auftrages
war aber auch, dass wir letztlich die Aufgabe gemeistert haben. Die
Problemlösung erschien in der Fachzeitschrift " Groß- und
Außenhandel " als vorbildlich, sie war weiterhin Thema der
Diplomarbeit eines Kollegen.
Diese wurde mit sehr gut bewertet.
Viel wichtiger war, dass wir uns eine
sehr gute Referenz erarbeitet hatten. Denn der Unternehmer war uns sehr
wohl gesonnen. Wir durften Kunden zu Vorführungen mitbringen. Diese
Problemlösung konnte von uns, bis auf kleine Modifizierungen, zusätzlich
4-mal verkauft werden. So dass dieser Auftrag letztlich sehr zur
Stabilisierung des Unternehmens beigetragen hat. Oft haben wir darüber
gesprochen, was passiert wäre, wenn wir zu keinem positiven Ergebnis
gekommen wären. Einhellig war die Einstellung, dass dies zum Konkurs und
damit zum Verlust unserer Arbeitsplätze geführt hätte.
Dass die Zeit der Nutzung von
EDV-Anlagen der Mittleren Datentechnik ( MDT ) kaum mehr als 10 Jahre
betragen würde, war undenkbar. Erst heute, knapp 25 Jahre später, ist
die rasante Entwicklung nachvollziehbar.
Für uns Mitarbeiter und das Unternehmen
begann die negative Entwicklung schleichend, kaum spürbar. Es begann
damit, dass viele Unternehmen der Mechanik ( Anker, Hohner, Kienzle,
Olivetti, Data General ) glaubten, EDV-Anlagen der MDT herstellen zu
können und zu müssen. Niederlassungen schossen aus den Boden. Rigoros
wurde Personal abgeworben. Die Unruhe in der Branche wuchs mit zunehmender
Konkurrenz. Die negative Entwicklung für uns Händler war, dass die
Preise für die Hardware ständig reduziert wurden und damit natürlich
auch unsere Margen. Die Anforderungen der Kunden an die Qualität der
Lösungen nahmen ständig zu, damit verbunden auch der Zeiteinsatz für
Organisation und Programmierung. Der Markt zwang uns, innerhalb der
gleichen Vertriebsorganisation, Programme auszutauschen, zu
standardisieren ja selbst Personal gegenseitig auszuleihen. Grundsätzlich
aus kaufmännischer Sichtweise waren diese Verhaltensweisen positiv zu
werten. Sie hatten jedoch den unangenehmen Beigeschmack, ständig Teile
der Selbstständigkeit aufgeben zu müssen. Hinzu kam, dass der MDT
natürliche Grenzen der Anwendung gesetzt waren. Die Datenträger
Magnetkonto und Lochkarte ließen nun einmal sowohl im Handling als auch
im Speichervolumen nur ein begrenztes Verarbeiten von Datenvolumina zu.
Es kam was neu kommen mußte. Nicht
lange dauert es, und die ersten Plattenanlagen der MDT tauchten auf. Die
Vertriebsorganisation, der wir angehörten, verkaufte mehr als 50% der
Nixdorf Produktpalette. Es bestand also eine erhebliche Abhängigkeit der
Fa. Nixdorf. Die Reaktion war der Aufbau der eigenen
Vertriebsorganisation. Die Kunden konnten von heute auf morgen die gleiche
Hardware sowohl über die seit Jahren bestehende Händlerorganisation aber
auch direkt bei Nixdorf kaufen. Der Unterschied bestand nur noch in der
Qualität der Lösungen. Hier hatten wir zu Anfang erhebliche
Wettbewerbsvorteile, die sich allerdings schnell reduzieren sollten.
Während einer Sitzung in Karlsruhe
hörten wir ein Referat eines leitenden Mitarbeiters der Nixdorf Computer
AG. Beiläufig erwähnte der Referent, dass ein neu entwickeltes
Plattensystem auf dem Markt käme, das ausschließlich über die eigene
Vertriebsorganisation angeboten würde. Begründet wurde dies mit dem
Anforderungsprofil sowohl an die Hardware-Pflege und Wartung als auch an
komplexe sehr zeitaufwendige Softwarelösungen, die von Händlern kaum zu
erwarten wären. Was sich im Nachhinein als richtig herausgestellt hat.
Noch heute wundert mich, wie passiv auf
diese Aussage seitens der Händler reagiert wurde. Der Großhändler in
Karlsruhe, nicht die 25 Händler im Vertriebsgebiet BRD, muß vorab
informiert gewesen sein. Die Reaktion dort war Beschwichtigung. Aber alle
Händler hatten längst erkannt, dass es ohne Plattenanlagen kein
Weiterkommen geben würde. Das Fazit war, sollte man sich von Nixdorf
trennen?
Für mich persönlich kam die Zeit der
Neuorientierung. Ich hatte nicht die Absicht, die Branche zu verlassen.
Aber wie heißt es so schön: Neue Besen kehren gut. Inzwischen war eine
Fülle von EDV-Vertriebsorganisationen entstanden und es war leicht, einen
Job zu bekommen, zumal sich mein Verhältnis zum alten Chef sehr
abgekühlt hatte.
Ein junges Unternehmen, das
Plattensysteme der Fa. Wagner Computer GmbH + Co. KG Berlin vertrieb, bot
sich mir an. Die Rahmenbedingungen waren die gleichen wie zu Beginn meiner
vorherigen Tätigkeit. Das allein hätte mich nachdenklich stimmen
müssen. Erschwerend kam hinzu, dass ich mir von heute auf morgen einen
Pkw kaufen mußte. Mein Firmenwagen, den ich auch privat benutzte, war
schließlich abzugeben. Die Personalausstattung des neuen Arbeitgebers
genügte nicht dem Anforderungsprofil des Herstellers. Ich wurde
angesprochen, ob ich nicht aus meinem Kollegenkreis diesen oder jenen zum
Überlaufen ansprechen könnte. Ich Dusel habe mich darauf eingelassen.
Die ganze technische Abteilung, zuständig für Wartung, Reparatur und
Pflege, war bereit mit mir gemeinsam zu wechseln. Als mein alter Chef dies
erfuhr, denn letztlich ging es um die Existenz seines Unternehmens, übte
dieser massiv Druck auf die Mitarbeiter aus, so dass
diese geschlossen ihre Kündigung
zurück zogen. Es dauerte nicht lange, und mein neuer Arbeitgeber und ich
wurden als Gesamtschuldner angeklagt, Abwerbung mit dem Zweck der
Geschäftsschädigung betrieben zu haben. Als Streitwert wurde festgelegt
100 T DM . Damit war der Prozess beim Landgericht anzusetzen, mit der
Folge höherer Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. Ein gelungener
Neubeginn. Mein neuer Chef bestätigte mir, dass das Unternehmen
selbstverständlich die Kosten übernehmen würde, zumal nicht mit einer
Verurteilung zu rechnen sei.
Dem Prozess ging eine beträchtliche
Korrespondenz voraus. Meine Kollegen waren als Zeugen aufgerufen worden.
Unser Rechtsanwalt empfahl mir, jeden Kontakt zu ihnen bis zum Ende
des Prozesses zu vermeiden.
Endlich wurde der Termin am Landgericht
festgelegt. Auf dem Flur traf ich sie alle wieder: meinen Chef und die
Kollegen. Die Begrüßung war doch sehr zurückhaltend. Nach ein einein
halb Stunden Verhandlung wurde das Urteil gesprochen: Wir wurden vom dem
Vorwurf der Abwerbung mit dem Ziel der Geschäftsschädigung
freigesprochen. Uns viel ein Stein vom Herzen.
Diese in wenigen Sätzen beschriebene
Auseinandersetzung zog sich in der Praxis über Monate hin. Schließlich
war ich eingestellt worden, um das Unternehmen mit auf die Beine zu
helfen, das hieß: stramm arbeiten. Bereits nach wenigen Wochen war mir
klar, dass ich einen riesigen Fehler begangen hatte. Was fand ich vor: Ein
kleines Handelsunternehmen mit knapp 25 Mitarbeitern, das aus einer
Auseinandersetzung der Vorgängerfirma durch Realteilung entstanden war.
Bis dahin waren mechanische Fakturierautomaten verkauft worden, für die
nur noch die Wartung aufrecht zu erhalten war. Geblendet von den
Größenordnungen des Computergeschäftes, jeder Abschluss inkl.
Software umfasste im Regelfall ein Umsatzvolumen von ca. 150 T
DM , hatte man sich entschieden, Computer zu verkaufen. Bis dahin war der
Einzelumsatz pro Geschäft ca. 8 - 10 T DM , allerdings ohne wirklich
qualifiziertes Personal vorhalten zu müssen.
Nach wenigen Wochen der Zugehörigkeit
gelang es mir, Altkunden meines ehemaligen Arbeitgebers für uns zu
gewinnen, u.a. einen großen Schulbuchverlag, eine Schokoladenfabrik und
ein Wohnungsbauunternehmen. Sehr zum Verdruss meines ehemaligen
Chefs. Damit waren wir führender Händler in Deutschland. Wobei ich wenig
später feststellen musste, dass außer uns nur wenige Händler
existierten. Der Hersteller in Berlin warb mit diesen neuen Kunden, die
gewonnen werden konnten. Eine Genugtuung für mich, aus der ich wiederum
schnell herausgerissen wurde.
Das Prinzip der Finanzierung des
Herstellers, im speziellen eines Herrn Wagners, bestand darin,
Kommanditisten mit entsprechenden KG-Anteilen zu gewinnen. Basis war die
absolute Seriosität des Hauses. Darum waren die Verkaufsabschlüsse von
uns hochwillkommen. Es dauerte nicht lange, und in Wirtschaftszeitungen,
u.a. im " Der Spiegel " war zu lesen, dass es offensichtlich zu
Unregelmäßigkeiten von KG-Anteilen in Höhe von 120 Mio. DM gekommen
sei. Wenig später war dies sofort in der Kundschaft zu spüren. Bevor wir
über den Verkaufsabschluss sprechen konnten, mussten wir Minuten für
Dementis aufbringen.
Auf der Industriemesse Hannover 1973,
die CeBIT gab es bis dahin nur als neu gebaute Halle 1 und war Bestandteil
der Gesamtmesse, war der Wagner-Stand der größte und beeindruckendste.
Schließlich keine Kunst bei soviel eingeworbenen KG-Anteilen.
Die Kommanditisten waren zur Messe
eingeladen worden und ich wurde von der Geschäftsleitung in Berlin
händeringend gebeten, ein kurzes Statement zu halten und auf die guten
Verkaufsergebnisse hinzuweisen. Was ich auch getan habe
In der täglichen Arbeit hatte uns die
Wirklichkeit schnell eingeholt. Wieder einmal musste ich feststellen, das
Standard-Software nicht vorhanden und wenn vorhanden nicht ausgereift war.
Qualifizierte Programmierer mussten eingestellt werden. Schnell stellte
sich heraus, dass die Unternehmensführung, mit diesen Aufgaben
konfrontiert, völlig überfordert war. Aus Berlin war keine Hilfe zu
erwarten. Die Anschuldigungen dort spitzten sich ständig weiter zu.
Nachdem uns die schriftliche Begründung
des Landgerichtes vorlag, flatterte gleichzeitig die Revision vor das OLG
ins Haus. Jetzt wurde es richtig teuer. Zusätzlich zum eigenen
Rechtanwalt musste ein beim OLG bestellter Anwalt beauftragt werden. Zu
diesem Zweck waren mehrere Reisen nach Hamm erforderlich. Der OLG-Anwalt
war bezüglich des Prozessausgangs sehr viel skeptischer als unser
heimischer. Sehr bedenklich äußerte er sich zur Konstruktion der Anklage
als Gesamtschuldner. Wie sehr sollte er doch Recht behalten. Zum
Prozesstermin waren Kläger und Beklagter anwesend. Mit ungutem Gefühl
ging ich in die Verhandlung. Nach knapp einer Stunde wurde das Urteil
gesprochen. Wir wurden als Gesamtschuldner verurteilt, den Schaden zu
bezahlen. Wobei der Richter hervor hob, dass die Konstruktion der
Gesamtschuldnerhaftung von ihm bedauert wurde, aber am Tatbestand nichts
änderte.
14 Tage später meldete mein Arbeitgeber
Konkurs an. Ursache war sicher nicht der Prozessausgang. Vielmehr war die
Kapitalbasis, die für die Realisierung der EDV-Installationen
erforderlich war, absolut unzureichend. Hinzu kam, dass der Chef
kurzfristig an einem Gehirntumor erkrankte, operiert wurde, aber wenig
später starb. Jetzt waren viele seiner nicht logischen Entscheidungen
besser zu verstehen.
Der Rechtsanwalt in Hamm hielt sich an
mich, um seine Honorarforderung zu erhalten. Sie betrug 3.500 DM. Unser
Rechtsanwalt empfahl mir, mit diesem zu sprechen und auf die Situation
hinzuweisen. Daraufhin wurde der Betrag auf 890 DM gesenkt und von mir
bezahlt.
Was würde mein alter Arbeitgeber
unternehmen? Würde er den angeblich verursachten Schaden feststellen und
einklagen? Vorerst hörte ich nichts.
Die Geschäftstelle wurde als
Niederlassung der Wagner Computer Vertriebs GmbH weiter geführt. Ich
wurde stellvertretender NL-Leiter und Verkaufsleiter. Wir bezogen neue
Geschäftsräume und konnten weitere Programmierer einstellen. Geholfen
hat es nicht. Die Vorwürfe dem Herrn Wagner gegenüber, KG-Kapital
unterschlagen zu haben, rissen nicht ab und erreichten auch uns. Ende
Dezember 1974 war Schluss.
Wenige Tage vorher rief mich mein
ehemaliger Chef an und fragte, ob ich Interesse hätte, wieder bei ihm
anzufangen. Er bot mir die Stelle des Einzelprokuristen an. Hocherfreut
nahm ich an. Damit war der weitere Prozess aus der Welt. Ich bekam wieder
einen Firmenwagen und ein gutes Gehalt. Zu Anfang waren wir beide bemüht,
kameradschaftlich zu sein und jede Auseinandersetzung zu vermeiden.
Wie schnell hatten sich die
Rahmenbedingungen doch geändert. Mein alter/neuer Arbeitgeber war in
größere Räume umgezogen. Neben dem EDV-Händler-Geschäft bestand ein
eigenständisches Bürozentrum, das hochwertige Büromöbel, japanische
Fotokopiergeräte und die ersten elektronischen Taschenrechner verkaufte.
Die Verkaufs- und Ausstellungsräume waren repräsentativ. Es wurde ein
Personalbestand von 10 Leuten vorgehalten. Mein Chef und sein neuer
Teilhaber waren oft in Japan. Auf mir blieb die ganze Verwaltungsarbeit
hängen, was nicht unbedingt zur Motivationsförderung beitrug. Zumal ich
schnell feststellte, dass zur Vor- und Zwischenfinanzierung des
Bürozentrums fleißig das Konto des Händlerbetriebes in Anspruch
genommen wurde. Geld, das uns später dringend fehlte. Auf meinen
Einspruch wurde eine strenge Kosten- und Umsatzabgrenzung vorgenommen.
Unser Händlergeschäft lief schleppend.
Die ganze neue Produktpalette, im speziellen Plattensysteme, der Nixdorf
Computer AG wurde nur noch ausschließlich über die Nixdorf
Vertriebsorganisation verkauft. Uns blieb der Rest. Auf Dauer zu wenig, um
zu überleben.
In vielen Gesprächen und Tagungen in
Karlsruhe und in Hannover, während der Messe, wurde gemeinsam überlegt,
wie kommen wir aus dieser Miesere. Ein kleines Unternehmen aus
Süddeutschland, das Plattensysteme herstellte bot sich an. Eine
Alternative gab es nicht. Wir, die komplette Händlerorganisation, haben
den Vertrieb übernommen. Wieder mussten die Programmierer neu geschult
werden.
Schnell stellte sich heraus, dass sowohl
System- als auch Grundstandard-Software fehlte.
Hektisch wurde gearbeitet. Mit jedem
Monat kamen wir unserem Kreditlimit näher. Die Bezahlung von
Lieferanten-Rechnungen wurde schleppend. Selbst der Haupthändler in
Karlsruhe wollte nicht mehr liefern, ohne dass Wechsel unterschrieben
wurden. Mein Chef war immer nicht da, wenn er am dringendsten gebraucht
wurde. Am 25. Mai 1976 haben wir den Konkurs anmelden müssen, nicht so
das Bürozentrum. Wobei ich erwähnen muss, dass wir bereits 2 Monate kein
Gehalt bekommen hatten. Da wenig vorher das Konkursausfallgeld beschlossen
war, wurden die Gehälter vom Arbeitsamt bezahlt. Die Stimmung zwischen
unseren Mitarbeitern und denen des Bürozentrums war gereizt. Sie saßen
in der 1. Etage und wir in der 2. Etage, kein Zustand.
Ich wurde gebeten, die
Auffanggesellschaft zu leiten und mit drei Mitarbeitern weiter zu machen.
Die restliche Mannschaft wurde entlassen. Bereits im Juli übernahm ein
Händler in Dortmund die Niederlassung und ich trat ins Glied zurück.
Ende Dezember sollte es mich persönlich erwischen.
Vertrieb und Verwaltung des neuen
Händlers waren in Dortmund. Dort bestand eine über Jahre gewachsene
eingespielte Mannschaft, in der wir nur störten. Anfang November 1976 kam
mein neuer Chef mit einem Mitarbeiter, und teilte mir mit, das die
Betreuung ausschließlich von Dortmund aus erfolgte. Ich wurde mit Wirkung
zum 31. Dezember 1976 entlassen, wie in der Branche üblich bis zum Ende
des Termins von jeder Tätigkeit freigestellt.
Die technischen Mitarbeiter verblieben
in der Geschäftsstelle bis zum frühestmöglichen Kündigungstermin der
Geschäftsräume und arbeiteten danach von zu Hause aus, wurden aber von
Dortmund aus disponiert. Unser eigenes Team zerstob in alle Winde,
verteilte sich zum Teil über ganz Deutschland.
Nachdem die Kündigung ausgesprochen
war, habe ich mich sofort an das Arbeitsamt gewandt. Dieses lag mitten in
der Stadt in einem hässlichen kasernenähnlichen Gebäude. In der dritten
Etage war die Vermittlung von Führungspersonal. Die Ausstattung war
gepflegt, die Zimmer mit Teppichboden ausgelegt. Die Behandlung war
freundlich. Es wurde eine positive Stimmung vermittelt und zugesichert,
dass in bundesweit verbreiteten Anzeigen einer speziellen Zeitschrift der
Arbeitsämter schnell etwas Vergleichbares zu finden sei. Danach bat mich
der Mitarbeiter zur Leistungsermittlung des Arbeitslosengeldes in die
Kelleretage zu gehen.
Der Gegensatz hätte nicht größer sein
können. Der Keller war beleuchtet. Es roch ungelüftet. Der Boden war
ausgelegt mit PVC. An den Wänden standen lange Bänke, die alle voll
besetzt waren. Alle Schichten der Bevölkerung warteten offensichtlich.
Ich zog eine Nummer und setzte mich, völlig frustriert , neben einen
anderen Arbeitslosen, dem Aussehen nach Maurer. Meine Nummer wurde
aufgerufen. Ein junger Mann nahm die nötigen Daten auf, fragte nach
meiner Bankverbindung und nannte mir die Höhe meines Arbeitslosengeldes.
Obwohl ich seit Jahren gut verdient hatte, und immer wieder davon
gesprochen wurde, dass 68% des Bruttogehaltes als Arbeitslosengeld bezahlt
würden, trifft dies in Praxis nur bis zur Bemessungsgrenze zu. Diese lag
erheblich unter meinem letzten Gehalt.
Das Gespräch mit dem Sachbearbeiter
hatte höchstens 3 Minuten gedauert, die reine Massenabfertigung. Ich
stand auf der Straße. Sofort kam ein mir völlig fremdes Gefühl auf.
Alle Leute wissen, du bist arbeitslos und gehörst nicht mehr dazu. Wobei
mein Gefühl, zu wem oder was zu gehören sehr nebulös war. Meine
Stimmung war besch....!
In diesen Dezembertagen, mein Gehalt
bekam ich ja noch, habe ich eine Fülle von Bewerbungen geschrieben, alle
für Tätigkeiten außerhalb des EDV-Vertriebs. Obwohl mich das letzte
Halbjahr 1976 immer wieder die Geschäftsleitung eines großen
amerikanischen Nähmaschinen- und EDV-Konzern anrief, um mir die Stelle
des Niederlassungsleiters in Dortmund anzubieten. Einmal war in Dortmund.
Das Umfeld war schon beeindruckend. Aber meine Frau war nicht zu bewegen,
in das Ruhrgebiet zu ziehen. Auch ich hatte wenig Neigung und wollte mit
der Branche nichts mehr zu tun haben, zum Glück. Auch dieser Hersteller
zog sich aus dem EDV-Bereich zurück. Nur ein Jahr später wurde die
Geschäftsstelle in Dortmund geschlossen. Ich stand auf der Straße, mit
37 Jahren, was tun?
Aufgezeichnet im Januar 2004
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