Zeitzeugenberichte    - Familie und Gesellschaft -

 

Karin

Vergebliches Bürgerengagement: 20 Jahre lang

Als wir 1969 in unsere Kommune zogen, hatte sie etwa 16.000 Einwohner.

Im Gegensatz zu Bielefeld konnten wir hier eine preiswerte Haushälfte mieten und den Kindern genügend Bewegungsraum bieten: sowohl drinnen als auch draußen. Auch für den täglichen Bedarf war gesorgt: Arzt, Apotheke, Geschäfte, Sparkasse, alles war nur ein paar Meter von unserem Haus entfernt, ein wichtiges Kriterium für mich, die ich damals kein Auto besaß.

Doch bald merkte ich, dass das nicht reichte. Es gab keine Bibliothek, keine kulturellen Angebote, die mich angesprochen hätten, nicht einmal einen Buchladen. Dass es in den katholischen Gemeindehäusern kleine Büchereien mit zweimaligen Öffnungszeiten in der Woche gab, erfuhr ich erst viel später, als ich selbst eine solche Bücherei in der neu gebauten evangelischen Kirche gründen half.

Ich beobachtete daher in den folgenden Jahren interessiert die Anstrengungen der Oppositionspartei, die sie unternahm, um sich für die Errichtung eines Bürgerzentrums einzusetzen. Nicht nur, aber auch deshalb trat ich in diese Partei ein. Ich wollte u. A. eben genau das Vorhaben unterstützen, eines der ältesten Fachwerkhäuser der Gemeinde in unsere Kommune zurück zu holen und als Begegnungszentrum mit vielerlei Funktionen wieder aufzubauen. Die Balken des abgerissenen Hauses waren im Detmolder Freilichtmuseum eingelagert, sollten aber dort keine Verwendung finden. Sie wurden daher unserer Kommune für einen symbolischen Preis angeboten. Als ehemaliges Vierständerhaus wäre es groß genug gewesen, sowohl einem Café (das es in meinem Ortsteil auch nicht gab) als auch den beabsichtigten kulturellen Aktivitäten Platz zu bieten. Einen seriösen Bäcker unseres Ortes hatten wir schon für den Plan gewonnen.

Doch weder die Informationsfahrten der Ratsmitglieder in andere Orte, die alle längst ihre Bürgerhäuser hatten, noch die wiederholte Einbringung eines entsprechenden Antrags überzeugten die Mehrheitspartei. Gab es nicht die Kirchen, Gasthäuser und Schulen, in denen Künstler aller Art auftreten konnten? Lieber unterstützte man die Vereine, die Büchereien der Kirchengemeinden und den Ende der 70er Jahre gegründeten Kulturkreis mit einem jährlichen Zuschuss und nutzte so geschickt den großen ehrenamtlichen, kostenlosen Einsatz der beteiligten, engagierten Bürger. Diese mussten und müssen bei Bedarf die Angebote der Nachbarkommunen nutzen: z. B. die Ausstellungen in der Synagoge in Oerlinghausen, die Bibliothek in Sennestadt, Veranstaltungen in Paderborn, Detmold und Bielefeld.

Da unsere Gemeinde desinteressiert blieb, wurde das Fachwerkhaus vor Jahren von einem lippischen Gastronomen erworben und wieder aufgebaut.

Das zweite Objekt, das für unsere Zwecke hätte in Frage kommen können, eine große, leer stehende, historische Villa, war mit 600.000 DM Kaufpreis und den zusätzlich entstehenden Renovierungskosten ebenfalls zu teuer, um überhaupt in Betracht zu kommen. Auch sie wird inzwischen längst von einem Privatmann bewohnt.

Es gab noch ein Projekt, das wir jahrelang ohne Ergebnis verfolgten, und zwar den Erhalt eines Teiles der ehemaligen Eisenhütte als ein Zeugnis der ersten industriellen Tätigkeit in unserem Ort. Im Zusammenhang damit hatte sich die Vorstellung entwickelt, etliche der vielen, alten Eisenöfen aus der damaligen, hiesigen Ofenfabrik in einem Museum zu präsentieren. Glücklicherweise gibt es nämlich einen interessierten Sammler, der sie überall aufgespürt, fachgerecht aufgearbeitet und an die Gemeinde vermittelt hat, ohne seine Arbeit daran zu berechnen. Jetzt stehen sie an verschiedenen Stellen im Rathaus herum, wo man sie kaum sieht. In diesem Jahr hat er als Würdigung seiner Arbeit den Kulturpreis der Stadt bekommen, weitere finanzielle Verpflichtungen wollte man nicht eingehen.

Nach 20 Jahren – nun kurz vor der Stadtwerdung - sah die Bilanz immer noch so aus, dass sich in kultureller Hinsicht auf der kommunalen Ebene nichts geändert hatte. Der von Mitgliederbeiträgen gespeiste Kulturkreis organisierte – wie die Männergesangvereine – seine Veranstaltungen in Kirchen, Gaststätten und Schulen. Ebenfalls ehrenamtlich wurden nach wie vor die kleinen Leihbüchereien in den Kirchengemeinden betrieben. Die Zuschüsse waren inzwischen etwas aufgestockt worden.

Eine Verbesserung der Situation hatte sich lediglich durch die Eröffnung eines Buchladens in den 80er Jahren ergeben. Jetzt konnte man wenigstens in neuen Büchern stöbern und seine Lektüre dort käuflich erwerben.

Eigentlich hatte ich resigniert, und aus der Partei war ich Mitte der 90er Jahre (aus anderen Gründen) ausgetreten.

Da schien es 1999 so, als könne man sich noch einmal, diesmal überparteilich, für diesen Sektor der bürgerschaftlichen Interessen einsetzen. In diesem Zeitraum wurde nämlich die Initiative der Lokalen Agenda 21 gestartet, an der auch unsere Kommune teilnehmen wollte. Es ging dabei um die nachhaltige Zukunftsgestaltung von unten. Die Mitwirkung der Bürger war gefordert. Später erfuhren wir, dass die teilnehmenden Orte 0,50 DM pro Einwohner für ihre Bereitschaft zum Mittun bekamen. In unserer Gemeinde bildeten sich mehrere Arbeitskreise. Einer davon kümmerte sich um die Bereiche: „Jugend, Freizeit, Bildung, Kultur etc." Diesem schloss ich mich an.

Es war eine Gruppe von 8 bis 10 Mitgliedern aus unterschiedlichen Berufen. Während der ersten Sitzungen nahmen ein Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin aus der Verwaltung teil, und uns wurde ein großzügiger Raum im Rathaus zur Verfügung gestellt. Die Verwaltung war gehalten, uns mit Serviceleistungen zuzuarbeiten. Diese Aufgabe erfüllte die Mitarbeiterin auch sehr gewissenhaft und engagiert. Sie war selbst interessiert und hätte später gern als normales Gruppenmitglied mit uns zusammen gewirkt. Doch das wurde ihr – mehr inoffiziell als offiziell – nicht gestattet. Der Mitarbeiter kam schon nach wenigen Sitzungen nicht mehr. Zugleich wurden wir aus dem Rathaus in eine Schule verwiesen. Man wollte sich offensichtlich nicht zu sehr mit unseren Zielen solidarisieren.

Denn wir waren fleißig, diskutierten diszipliniert und hatten so auch bald einen Konsens zu unseren wichtigsten Wünschen gefunden: Während es in unserer Gemeinde viele Sportstätten und entsprechende Angebote gab, fehlten - nach unser aller Meinung - Räumlichkeiten für unsere kulturellen Bedürfnisse. Wir kamen zu dem Schluss, uns für ein Bürgerhaus, eine öffentliche Bibliothek und - zur Information über die vorhandenen Kulturangebote – die Erstellung eines regelmäßig erscheinenden Kulturkalenders stark zu machen.

Wir schickten unsere Protokolle an die Verwaltung und die Fraktionen und luden sie ein, an unseren Gesprächen teilzunehmen. Außerdem veröffentlichten wir unsere Sitzungsergebnisse im Gemeindeblatt, im Westfalenblatt und in der NW, die unsere Arbeit aufmerksam begleitete.

Von den großen Parteien bekamen wir nie eine Antwort. Es wurde uns kolportiert, dass Ratsmitglieder gesagt hätten: „Solche Gruppen laufen sich immer schnell tot." Nur von der Freien Wählergemeinschaft kamen in der letzten Phase unserer Arbeit der Vorsitzende und ein Mitglied des Kulturausschusses. Sie kannten die Mechanismen, waren absolut versiert und berieten uns strategisch politisch.

Zuvor jedoch wollten wir uns kundig machen, wie es anderswo aussah. Wir haben in vier Nachbarkommunen recherchiert.

Wie waren sie im Verhältnis zu ihren Einwohnerzahlen ausgestattet? Wir stellten fest: Alle, auch kleinere, hatten sowohl Bürgerhaus als auch Bibliothek.

Wir fotografierten diese Beispiele, machten mit Hilfe unseres Architektenmitgliedes attraktive Plakate, präsentierten uns – noch mit Hilfe der Verwaltung – mit einem Stand während unseres größten Volksfestes, informierten die Vorübergehenden, fragten nach ihrer Meinung und sammelten Unterschriften. Die meisten stimmten unserem Vorhaben zu.

Wir setzten uns mit der Gruppe der Jugendlichen zusammen, die schon vor uns getagt hatten und die als ihr wichtigstes Anliegen die Einrichtung eines Kinos herausgefunden hatten. Diesen Wunsch wollten wir unterstützen und nahmen ihn in unsere Liste mit auf.

Dann luden wir alle Kultur tragenden Vereine ein und befragten auch sie. Ihre einhellige Meinung: Wir brauchen dringend einen Raum für Konzerte mit Flügel und dem notwendigen technischen Equipment. Ein Kulturkalender wäre wünschenswert.

Wir befragten die Schulen nach ihrer Meinung zum Nutzen einer öffentlichen Bibliothek. Natürlich auch hier volle Zustimmung.

All dies fassten wir wieder zusammen und schickten das Schreiben an den Bürgermeister persönlich, dann an alle anderen Adressen. Der Bürgermeister bestätigte zumindest den Empfang und sein Wohlwollen. Von den Parteien wurden wir nach wie vor ignoriert.

Inzwischen wurde der Neubau des Gymnasiums geplant (in unseren Augen ein nicht unbedingt notwendiges Prestigeobjekt, da ausreichend Plätze in den Nachbarkommunen zur Verfügung standen).

Wir sahen jetzt nur noch die allerdings gute Möglichkeit, auf die Gestaltung der Aula in unserem Sinne Einfluss zu nehmen und formulierten auch dies. Keine Antwort von den Fraktionen!

Die Vorstellung der Architektenmodelle war öffentlich, wir nahmen als Zuhörer teil und stellten zu unserer Freude fest, dass das überlegene Architekturbüro längst passend zu unserer Zielsetzung geplant hatte: Die Zeichnungen sahen einen Teil des Schulgebäudes als Schüler- und öffentliche Bücherei vor und eine große, getrennt gebaute Aula, die sich zur Schule und nach außen öffnen sollte.

Damit schienen diese Punkte erledigt. Blieb noch der Kulturkalender.

Wir verglichen wiederum viele Exemplare von auswärts, fanden das Faltblatt von Senne I sehr kostengünstig und ausreichend informativ, holten Kostenvoranschläge ein und klärten die Verteilungsmodalitäten. Die Gestaltung selbst wollte eins unserer Gruppenmitglieder, gelernte Designerin, professionell und dennoch kostenlos übernehmen. Wir baten um einen Termin beim Bürgermeister, bekamen ihn auch und trugen unseren Kulturkalenderwunsch vor. Er reagierte wie immer sehr freundlich, könnte diese Kosten aber nicht aus dem laufenden Geschäft bezahlen, sondern müsste den Rat damit befassen. Und dieser würde einen solchen Antrag mit Sicherheit ablehnen, weil damit nicht nur einmalige, sondern ständige Kosten verbunden seien.

Um unseren und den Interessen der Kultur tragenden Vereine mehr Nachdruck verleihen zu können, sie z. B. bei der zukünftigen Nutzung der Aula mit bestimmen zu lassen, näherten wir uns der Idee einer Verbandsgründung. Nachdem wir für uns geklärt hatten, welche Vereine dazu gehören sollten, d. h. wie eng oder weit wir den Kulturbegriff fassen würden (wir wollten ihn eng fassen), luden wir diese Vereine zu einer Diskussion über diese Frage ein. Wir studierten das Vereinsrecht, führten ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Sängerbundes in Bielefeld, überzeugten uns von den Vorzügen eines Zusammenschlusses und erhielten dessen Satzung. Wir konnten schließlich die angepasste und umgeschriebene Satzung des Sportverbandes unseres Ortes als Diskussionsgrundlage vorlegen. Ein Muster für einen Kulturkalender hatten wir ebenfalls entworfen. Die Vereinsvertreter ließen sich berichten, wiegten ihre Köpfe, fanden den Kulturkalender praktisch, wenn er nichts kostete, standen aber einem Verband, bei dem man seine eigene Finanzierung offen legen müsse, skeptisch gegenüber. Nach Rücksprache mit ihren Vereinsvorständen lehnten sie beim nächsten Treffen eine Verbandsgründung ab.

Schließlich wandten wir uns dem Kinoprojekt zu. Wir spürten einen Cineasten auf, der nicht ausschließlich unter kommerziellen Aspekten ein Mal in der Woche in Brackwede Filme und alte Wochenschauen vorführte. Er war bereit, dieselben Filme an zwei anderen Tagen bei uns vorzuführen. Zwei Vertreter der Mehrheitspartei hatten von unseren Kontakten gehört, suchten den Schulterschluss mit uns und bereiteten einen entsprechenden Antrag für den Rat vor. Da die Kommune keinesfalls die Trägerschaft übernehmen und die Kosten so niedrig wie möglich halten wollte, musste ein Kinoverein gegründet werden. Diesem bin ich nicht mehr beigetreten. Aber er hatte Erfolg. Da die Mehrheitspartei den Antrag einbrachte, war die Zustimmung kein Problem, zumal auch die anderen Fraktionen sich den Wünschen der Jugendlichen nicht verweigern wollten. In der Aula der Realschule wurde ein Verschlag für die gebraucht gekauften Vorführgeräte gebaut,

vorne eine große Leinwand installiert, und die erste Kinovorstellung mit einem ziemlich aktuellen Film konnte beginnen. Leider ist die Aktualität nicht die Regel. Die Filme kommen immer sehr verspätet bei uns an, und sonntags ist die Aula nicht immer warm. Wie es in den Ferien ist, weiß ich nicht. Einmal frieren hat mir gereicht.

Das Fazit heute: Für den Bau der Aula ist kein Geld mehr da, er ist auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben worden. Von der Bibliothek habe ich bis jetzt nichts mehr gehört. Ich gehe nicht davon aus, dass professionelle Kräfte dafür eingestellt werden.

Ein Kulturkalender wird mit Hilfe von Sponsorengeldern erstellt, enthält aber nur die Ankündigungen der Gruppierungen, die mit dem Kulturkreis zusammen arbeiten und ihm ihre Veranstaltungen nennen. Er bietet keine vollständige Übersicht.

Was bedeuten die hier geschilderten Erfahrungen nun für mich?

Der ganze Einsatz war so viel Mühe und Arbeit, dass ich mich natürlich frage: Soll ich endgültig resignieren?

Doch distanzierter betrachtet ist dies nur ein anschauliches Beispiel für das Aufeinandertreffen verschiedener Interessen im gesellschaftlich politischen Leben und für den Umgang damit.

In anderen Zusammenhängen habe ich auch durchaus positive Erfahrungen gemacht.

Tatsächlich sind ja viele Bürgerinitiativen und -bemühungen erfolgreich, oder sie verändern zumindest das Denken.

Nur eine Garantie fürs Gelingen, die gibt es nicht.