Zeitzeugenberichte    - Familie und Gesellschaft -

 

Evelyn

Vereinbarkeit von Familie und Beruf - nach 11 Jahren zurück in den Beruf

Es schien alles bestens und wir entsprachen als glückliche Familie dem Bild der 60-iger Jahre. Mein Mann als Teilhaber eines aufstrebenden Architekturbüros wurde immer erfolgreicher, wir hatten drei gesunde Kinder und ich war in den Kollegenkreis meines Mannes und deren Familien gut eingebunden. Feste wurden zusammen gefeiert, gemeinsame Familienurlaube mit 8 bis 10 Kindern fanden in Schweden statt, und in Südfrankreich probten wir antiautoritäre Erziehung und diskutierten nächtelang bei Rotwein und Käse, daß trotz guten Willens diese Erziehungsform nicht durchzuhalten war. Ansonsten war Architektur das beherrschende Thema in allen Variationen.

Wir Frauen hielten den Männern den Rücken frei und kümmerten uns um Haushalt und Kinder. Irgendwann hatte ich immer ´mal wieder das Gefühl, daß das nicht alles sein könnte für mich, etwas Eigenes müßte es doch geben. Nur um aus dem Haus zu kommen und mir einmal wöchentlich ein Kindermädchen mit gutem Gewissen nehmen zu können, absolvierte ich einen 2 ½ jährigen Lehrgang zur Hauswirtschaftsmeisterin. Mit diesem Meisterbrief hätte ich zwar Lehrlinge ausbilden können, jedoch war dies nicht mein Ziel. Ich konnte hinterher besser kochen, nähen und wußte mehr über Textilkunde, aber interessanter fand ich den Unterricht über effizientes Haushalten und Organisation von Arbeitsabläufen. So wirklich spannend fand ich das alles aber nicht und die dann stattfindenden Damenkränzchen mied ich bald.

Als ich dann in einem Geschäft in unserer Kleinstadt als Frau von ..Namen des Architekturbüros meines Mannes angesprochen wurde, wußte ich, daß ich etwas ändern mußte. 1970 wurden überall Krankenschwestern gesucht – ich hatte zwar in der DDR die Ausbildung zur Säuglings- u. Kinderkrankenschwester absolviert, aber nur als Notlösung dafür, weil ich nicht Medizin studieren durfte (politische Gründe). 1958 wurde mein Staatsexamen im Westen nicht anerkannt. Jetzt jedoch bei Personalengpässen hatte ich Glück – ich konnte sofort eine Stelle als Nachtwache in Teilzeit, d.h. 10 Nächte/Monat, bekommen, dazu einen Betriebskindergartenplatz für unseren Dreijährigen .

Mein Mann war natürlich gegen eine Berufstätigkeit und nur unter der Bedingung, daß zu Hause alles weiterginge wie bisher, gab er widerwillig nach. Er ging davon aus, daß ich dieses Unterfangen sowieso bald wieder aufgeben würde. Außerdem" machte man das nicht" - es sei denn, wirtschaftliche Not zwang Familienfrauen zur Berufstätigkeit. So kam auch prompt ein Anruf von einem Kollegen meines Mannes „ Wenn Du Dich unbedingt selbst verwirklichen willst, dann tue das in unserem Büro – als Telefonistin. Die Leute denken sonst, wir könnten unsere Familien nicht ernähren" . Ich war stocksauer! So üppig waren die Gehälter in einem jungen Architekturbüro nun wirklich noch nicht. Ich wurde jedoch darin bestärkt, diesen zuerst schwierigen Anfang durchzuhalten und nicht aufzugeben.

Mein Aufgabengebiet umfaßte die Versorgung von ca.25 Wöchnerinnen und ihre Neugeborenen mit einer Krankenpflegehelferin. Diese Kollegin kannte sich gut aus und war mir in der Einarbeitungsphase eine große Hilfe. Anfangs mußte ich mich nicht nur an die großräumige Umgebung gewöhnen, neue Medikamente, Instrumentarien und immer neues Einstellen auf andere Menschen beschäftigten mich auch tagsüber noch , wenn ich eigentlich schlafen mußte.

Als sich dann Routine einstellte, ich auch in OP und Kreißsaal bei Geburten dabei sein konnte, war ich zufrieden und ausgesöhnt mit diesem Beruf, der genügend Zeit für die Familie ließ – alles ging so weiter wie bisher. Ich verdiente zwar nicht viel Geld, jedoch war es ein ganz tolles Gefühl wieder eigenes Geld zu haben . So brauchte ich doch das nächste Geburtstagsgeschenk für meinen Mann nicht vom Hauswirtschaftsgeld absparen.

Nun alles gut? Ich hatte nicht mit der deutlichen Mißbilligung der Kollegenfrauen meines Mannes gerechnet. Sie kamen und fragten so ganz nebenbei, ob es auch immer Mittagessen gebe und fuhren verstohlen mit dem Finger über unsere Bücherregale. Und natürlich wurde mein Mann bemitleidet wegen dieser eigenwilligen Frau. Nervig war auch, daß mein Mann nicht immer einplante, daß ich zu meiner Dienstzeit abends um 19 Uhr 30 das Auto benötigte. Wir wohnten am Stadtrand und zu diesen Zeiten fuhr kein Bus mehr. Als ich mir dann nach längerer Zeit ein kleines gebrauchtes Auto kaufen konnte, war auch dieses Problem gelöst  ein bißchen mehr Freiheit gewonnen. Aber die ganze Zeit hat mich ein schlechtes Gewissen nie verlassen.

Nach drei Jahren ergab sich für examinierte Krankenschwestern/Pflegern im Hause, an einem berufsbegleitenden Weiterbildungsprogramm der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und

Wiederbelebung in der Intensivpflege teilzunehmen. Es galten die Richtlinien der Ulmer Universität . Der theoretische Unterricht und die praktische Anleitung erfolgte durch die Chefärztin der Anästhesie in unserem Hause und sollte in 2 Jahren durchgeführt werden und schloß mit einem Examen zur Fachschwester/Fachpfleger ab. Das alles interessierte mich sehr! Aus dem Bewerberkreis wählte die als sehr streng bekannte Chefärztin 12 TeilnehmeInnen aus. Ich war dabei mit der Auflage, meine privaten Familienverhältnisse so zu regeln, daß ich als Vollzeitkraft auf der Intensivstation einsetzbar sei und 1-2 mal in der Woche am abendlichen Unterricht teilnehmen konnte. Das bedeutete : 43 Wochenstunden Dienst in 3 Schichten, jedes 2. Wochenende Dienst, ebenso im Wechsel Feiertagsdienst, zusätzlich natürlich Lernen für den Unterricht und Klausuren. Das mußte gut überlegt sein! Von meinem Mann konnte ich keine Unterstützung erwarten. Aber wenn ich wirklich etwas wollte, dann war es, diese Chance zu ergreifen.

Die Kinder waren inzwischen 6 – 12 – 13 Jahre alt .Ich brauchte eine Haushaltshilfe, die an 5 Tagen in der Woche vormittags dafür sorgte, daß der Jüngste sauber und pünktlich in die Schule ging, und daß unser kleines Reihenhaus sauber und ordentlich aussah. Alles andere wollte ich schon selber schaffen. Der erste Versuch mit einer Hilfe ging daneben, die Kinder mochten sie nicht und glücklicherweise zog sie dann um. Die nächste bekam ich durch Vermittlung unseres kleinen Ladens um die Ecke .Unsere Kinder waren begeistert – sie konnte Drachen bauen , kochte Milchreis, wenn ich wirklich einmal nicht zum Kochen kam und bekam eher die kleinen Geheimnisse erzählt als ich. Und sie hielt dicht ! Sie konnte aber auch sehr streng sein – auch das wurde akzeptiert. Also besser konnte es nicht gehen. Sie blieb übrigens 19 Jahre bei uns.

Das bedeutete allerdings nicht, daß alles reibungslos zu hause verlief. Mir kam zu gute, was ich an Haushaltsorganisation bei dem Meister- hausfrauenkurs gelernt hatte - Organisation -. Einkaufen, waschen, bügeln und die Schularbeitenaufsicht bei den Kindern blieb mir. Da kam mir die Dienstzeit auf der Intensivstation sehr entgegen : 6 –13 Uhr und 13 –20 Uhr im täglichen Wechsel, das hieß: einmal nachmittags und am andern Morgen zu Hause, die nächsten 2 Tage entsprechend Dienst. An den Dienstwochenenden war mein Mann zu Hause bei den Kindern. So einigermaßen klappte es schon – ich hatte ein Buch angelegt, in das jeder seine Anliegen einschrieb, wo er war und was so alles anstand, auch viele Anleitungen, wann welches Mittagessen wie gewärmt werden sollte. Wenn ich heute die inzwischen 7 dicken Kladden lese, muß ich feststellen, daß unsere Kinder sehr selbständig wurden und sich rührend um ihren „kleinen" Bruder gekümmert haben. Anderseits genossen sie ihre Freizeit mit Budenbauen, Fußballspielen, Nachbarn ärgern. Das war also Familienarbeit. Wie erging es mir in dem neuen Arbeitsbereich?

Ich hatte von allem keine Ahnung und mußte ganz von vorn anfangen. So heftete ich mich in der ersten Zeit einem schon versierten Kollegen an die Fersen und fragte ihm Löcher in den Bauch. Er war sehr geduldig und wunderte sich nur, was ich als Kinderkrankenschwester in der Großen Krankenpflege alles nicht wußte. Ich hatte ja auch nie vorher mit erwachsenen Kranken zu tun gehabt. Also mußte ich für mich alles schleunigst nachholen und ich büffelte in meiner knappen Freizeit meistens spätabends Krankheitsbilder Erwachsener und außerdem das, was für Intensivpflege und Anästhesie notwendig war. Da ich die Älteste im Kursus war ((37 Jahre), weit weg vom Lernen und außerdem als einzige Familienfrau war (die männlichen Teilnehmer hatten zu Hause ihre Ehefrauen zur Versorgung der Kinder) fiel mir das alles ziemlich schwer. Da hieß es auf die Zähne beißen und ja keine Schwäche zeigen, es wurde ja nur darauf gewartet, wann ich aufgab.

Eigentlich hatte ich gar keine Zeit zum Nachdenken. Als wir jedoch einige Besuche in der DDR machten und ich die Situation meiner 3 Schwägerinnen mit ihren 2-4 Kindern und Berufstätigkeit erlebte, da war ich schon ganz schön neidisch: Die Kinder wurden in Krippen und Horten versorgt und bekamen, so wie die Ehemänner, sogar ihr Mittagessen. Wenn ein Kind krank war, bekamen Mütter oder Väter frei, das lästige Einkaufen in der Woche fiel weg. Welch ein Unterschied zu unserer alten Bundesrepublik! Ich teilte mir mein Nettogehalt mit meiner Haushaltshilfe , in der DDR war die Betreuung fast kostenlos.

Unsere Arbeit auf der chirurgischen Intensiv-Station war geprägt davon, jederzeit auf Notfallsituationen vorbereitet zu sein, das heißt selbstverständlich mußten alle Apparate gewartet und einsatzbereit sein. Der Umgang damit mußte gelernt werden. Das theoretische Wissen über die Reaktionen des Körpers bei Schockzuständen, Unfällen, Schädelhirnverletzungen usw. wurde in der Praxis von unserer sehr strengen Chefärztin eingefordert. Wir wurden regelrecht gedrillt, auch bei Stress-Situationen nicht in Hektik zu verfallen, sondern gezielt und umsichtig zu arbeiten.

Je mehr Sicherheit ich bekam, desto besser gefiel mir meine Arbeit, zumal wir als Team aufeinander angewiesen waren. Der Umgang mit Sterben und Tod veränderte meine Einstellung zum Leben allgemein – Selbstverständliches wurde mehr hinterfragt, wurde kostbarer. Eine ganz wichtige Erfahrung wohl für alle. Obwohl ich beruflich sehr eingespannt war und zu Hause die Familie auch noch große Ansprüche stellte, so war sie doch auch sehr hilfreich die oftmals schlimmen Erlebnisse auf der Station aufzufangen und für Ausgleich zu sorgen.

Die Abschlußprüfung war für mich noch einmal eine große Herausforderung – alle bestanden, ein Kollege und ich schlossen unser Intensiv- und Anästhesieexamen mit „gut" ab. Mein Einsatz und meine Zähigkeit hatten sich gelohnt und machte mich stolz. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, daß mir nun die Stationsleitung übertragen wurde, da die andere Leiterin gekündigt hatte. Begründung der Chefärztin für diese Entscheidung: " wer bis jetzt Ausbildung, Beruf, Familie und Haushalt organisieren konnte, kann auch eine Intensiv-Station organisieren und leiten." Das war für mich Auszeichnung und Verpflichtung zugleich.