Zeitzeugenberichte   - Kriegs- und Nachkriegszeit -

 

  Carla

 

Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegzeit. 

Im Jahre 1935 kam ich in die Schule. Da wir die ersten 4 Grundschuljahre hindurch eine ältere, sehr  mütterliche  Lehrerin  hatten, blieben wir von einer nationalsozialistischen  Beeinflussung zunächst verschont. Natürlich mußte der "Hitlergruß" eingeübt werden, es wurde wohl auch an den entsprechenden Feiertagen über sogenannte  nationale Themen gesprochen; aber davon ist mir nichts in Erinnerung geblieben, wohl auch deshalb, weil ein strikt antinationalsozialistisches  Elternhaus dagegen steuerte. Besonders unsere Mutter haßte die Nazis aus ganzer Seele und schärfte uns schon früh ein, nur ein  demokratisches Regime sei wünschenswert. 

Im April 1939 mußte ich mich beim  BDM (Bund Deutscher Mädels) anmelden. Es gab keinen freiwilligen Beitritt,  es stand am Rathaus angeschlagen, daß alle 1929 Geborenen an einem bestimmen Tag unter Vorlage des Familienstammbuchs anzumelden seien. Ich mußte nicht einmal selbst dazu erscheinen, vielmehr erledigte das meine ältere   Schwester. Irgendwann (vermutlich zu "Führers  Geburtstag) wurden wir dann - 10jährige Mädchen! - vereidigt. 

Zum gleichen Zeitpunkt  wechselte ich auf die Oberschule für Jungen.  Dort war dann der politische Druck  etwas stärker, da es unter den Studienräten einige überzeugte Nazis gab. Da mein  Heimatort aber ziemlich klein war - 23.000Einwohner - kannte  man die meisten  Lehrer und ihre politische Einstellung und konnte sich mit seinen Äusserungen entsprechend verhalten. Natürlich gab es auch unter den Mitschülern begeisterte Nazis, aber im großen und ganzen wurde man damit kaum bedrängt.

 Da ich von zu Hause aus anders erzogen war, bedeutete es für mich  immer eine  Verstellung, wenn ich mich zu politischen Themen äußern mußte.  Kinder  möchten eigentlich  immer so sein wie alle anderen, und es ist schwer, sich als Aussenseiter zu fühlen.  Ich  dachte auch oft, wenn ich von berühmten und klugen Männern las,  die sich begeistert  über  Nazi-Themen oder  -führer  äußersten,  "bist du solch  ein Querkopf, diese Leute sind doch viel  klüger als du und so von dieser Ideologie angetan ", aber ich konnte mich trotzdem   nicht dafür erwärmen.  Dies war eine große Belastung , mit der ich mich oft auseinandergesetzt habe.                                                    ,

Ich hatte mich erstaunlicherweise schon früh für Politik  interessiert. Meine  Eltern hatten ein  Zigarrengeschäft, und viele Kunden, die sich untereinander und meine Eltern  kannten, sprachen viel über  Politik. Und ich saß gern in einer  Ecke  unter dem Ladentisch und hörte zu.  Wenn ich natürlich auch nicht alles verstand, so hörte ich doch schon früh über KZ`s, in die Personen, die z.B.  politische  Witze erzählt hatten, eingeliefert worden waren, über das Schikanieren von Juden, die z.B. zum Kundenstamm gehörten. 

Mein Vater hatte auch eine Agentur vom  Norddeutschen  Lloyd Bremen, einer Schiffahrtsgesellschaft, und  besorgte  für etliche jüdische Familien die  Passagen  nach Übersee, wenn diese Ausreisevisen erhalten hatten.  So wurde darüber  gesprochen, daß diese armen Menschen nicht nur eine  hohe  "Reichsfluchtsteuer" zu zahlen  hatten, sondern  auch ihre gesamten  Wertsachen und sogar ihre Trauringe abgeben mußten und mit sage und schreibe 10  Reichsmark  davongejagt wurden. 

Inzwischen  war der  Krieg ausgebrochen, in dessen  Verlauf viele neue  Leute in unsere Stadt kamen, zuerst die Evakuierten aus den westlichen deutschen Ländern, die  schon  stark vom Luftkrieg betroffen waren, und dann  auch zunehmend sogenannte Gast- oder Fremdarbeiter, die bald in Scharen  durch die Stadt zogen..

Über den  Verlauf des  Krieges waren wir  recht gut durch das  - streng verbotene -  Abhören ausländischer Radiosender unterrichtet. Da auf  das Åbhören sogenannter  "feindlicher" Sender die ˝Todesstrafe stand, schärfte uns unsere Mutter (Vater war schon lange im Krieg)  dringend ein, ja nichts davon ausserhalb zu erzählen.

Auch das war eine  Belastung; denn wenn man in der Schule hörte, wie angeblich erfolgreich  unsere  Fronten  begradigt wurden, und aus ¸Radio Beromünster" (Schweiz) oder dem britischen  Rundfunk gehört hatte, wie schlecht  es tatsächlich an den Fronten  stand, so mußte man immer sehr aufpassen, sich nicht zu verraten. 

Mein Vater war als Oberzahlmeister nach  einigen anderen Standorten an die  Panzertruppenschule in Krampnitz bei  Potsdam versetzt worden. Diese Schule teilte sich ein großes Areal mit der Heeres Reit- und Fahrschule, an der große Teile des Offizierskorps dem Mittleren- und Hochadel angehörten. Außerdem gab es sehr viele ausländische Offiziere, Ungarn, Rumänen, Bulgaren und Finnen und andere. Da mein Vater dort eine kleine Offizierswohnung hatte, waren wir oft bei ihm zu Besuch. Ich hatte mir bei dem (Leiter?) der Reit- und Fahrschule, Oberst Momm die Erlaubnis geholt, reiten zu dürfen. (Oberst Momm war 1936 bei den Olympischen Spielen mit gebrochenem Schlüsselbein um die Goldmedaille für Deutschland geritten und hatte sie auch erhalten.)

Es war das Jahr 1944, dass heißt im 5. Kriegsjahr, an allen Fronten gingen die deutschen Truppen zurück, aber hier in Krampnitz übte man für irgendeinen Anlass Quadrille zu Pferde mit Musik! Es gab ein sehr luxuriöses Kasino, wo Ordonanzen in weißen Jacken servierten; allerdings gab es auch nur das Essen auf Lebensmittelkarten und das war damals schon recht kläglich. 

Meine Mutter und ich waren im Juli 1944 gerade zu Besuch bei meinem Vater, als uns am 19.7. ungewöhnlicher Betrieb auf dem Kasernengelände auffiel. Am nächsten Tag hörten wir dann von dem Attentat auf Hitler, worüber wir uns zunächst sehr freuten, aber leider kam dann schon bald die Nachricht vom Scheitern des Putsches. Die Truppen der Panzertruppenschule waren ausgerückt, um die Putschisten zu unterstützen, in der Nähe des Brandenburger Tores sollen sie SS-Einheiten gegenüber gestanden haben.

Von den Offizieren der Heeres Reit- und Fahrschule waren viele in den Putsch verwickelt, wie man in den nächsten Monaten - teils nur unter der Hand - erfuhr. So waren wir unfreiwillige Zeugen eines geschichtlichen Vorgangs geworden. Aber man durfte zu niemanden sprechen, weil man sonst sofort auch zum Kreis der Verdächtigen gehört hätte.

Wenn wir in den ersten Jahren  kaum etwas vom Krieg gemerkt  hatten, so häuften sich nun Fliegeralarme und Tieffliegerangriffe (z.B, beim Anstehen nach  Lebensmitteln), die  Versorgung wurde immer schlechter und der politische  Druck wuchs Die Schule fiel immer häufiger wegen  Fliegeralarm aus, bis sie im März 1945 ganz schloß.

Im April 1945 zogen nach etlichen kleineren Gefechten die Amerikaner ein, und wir fühlten uns wirklich befreit, da wir den ganzen Nazispuk endlich los waren, und der Krieg für uns beendet war.

Leider zogen die Amerikaner bereits im  Juli wieder ab und überließen den Truppen der  Roten  Armee Mitteldeutschland, was sich zunächst in einer katastrophalen Versorgungslage, bald  aber auch in politischem  Druck äußerte. So wurde nach Wiederbeginn der  Schule auf uns Druck ausgeübt, der "Freien Deutschen Jugend" beizutreten, wogegen wir uns zunächst erfolgreich zur Wehr setzen konnten.

1947 nach bestandenem Abitur konnte ich jedoch nicht mit dem gewünschten Studium beginnen, da ich über keine proletarische Abstammung verfügte. Da ich seit 1946 Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei  -  damals noch nicht gleichltet , politisch interessiert und bereit war, mich am demokratischen Aufbau zu beteiligen, besuchte ich mehre Kurse an der Landesparteischule  der LDP, und wurde im Anschluß  daran Kreisjugendreferentin in unserem Landkreis. Die parteipolitische Arbeit wurde jedoch zunehmend durch die Besatzungsmacht, der jeder Redeentwurf und jeder Schriftsatz vor gelegt werden mußte, so  erschwert, dazu wurden laufend Funktionäre und Mitglieder nichtkommunistischer Parteien  verhaftet oder verschwanden über Nacht,  daß meine Eltern eine weitere  Beschäftigung bei der Partei nicht mehr tolerierten.

Ich  war daher sehr froh, als  die  "Freie Universität" in Berlin ihre Pforten öffnete, wenn ich auch nicht gleich im ersten Semester sondern erst zum Sommersemester 1949  mit meinem Studium beginnen konnte.