Zeitzeugenberichte   - Kriegs- und Nachkriegszeit -   

 

  Friedrich  

 

Aufbruch zum Kampfeinsatz in Leipzig im April 1945 und Kriegsende.

Wie schon im vorigen Bericht über den Lazarettaufenthalt in Naunhof erwähnt, hieß es etwa um den 10. April 1945 Sachen packen und Abschied nehmen von unseren guten Betreuern im Lazarett. Wegen der nahenden amerikanischen Truppen sollte das Lazarett weitgehend geräumt werden. Wir hatten ein Gefühl, als müßten wir ein Zuhause verlassen. Aber es eilte sehr, so blieb uns nicht viel Zeit für Abschiedsschmerz und trübe Gedanken. Per Eisenbahn ging die Fahrt bis zu einem Vorort von Leipzig. Dort mußten wir den Zug schleunigst verlassen, denn amerikanische Jabos (Jagdbomber) griffen den Zug an.

Nach dem Angriff sammelten wir uns und begaben uns zu Fuß Richtung Zielort: Leipzig, Böhlitz-Ehrenberg, Pestalozzischule. Mein Vater gehörte auch zu den vorgesehenen Verteidigern der Stadt Leipzig.

Am Zielort angekommen, wurden wir von einem älteren Hauptmann begrüßt. Dieser Hauptmann aus dem 1. Weltkrieg ist kurz vor Kriegsende wieder reaktiviert worden und sollte nun unsere Kompanie, eine Art Alarmeinheit, in den zu erwartenden Kampf führen. Diese Einheit bestand zumeist aus ganz jungen Burschen, etwa 16 Jahre alt, ein paar kriegserfahrenen Soldaten und alten Männern zwischen 50 und 60 Jahren. Das war ein recht wild zusammengewürfelter Haufen. Kompanie hört sich gut an, normal ca. 200 Mann. Wir waren jedoch nur knapp 70, also Zugstärke und davon nur etwa 40 Mann einsatzfähig. Ein tolles Aufgebot zum Kampf gegen die Amerikaner!

Anfangs konnten wir alle in der Schule übernachten. Tagsüber mußten wir Jüngeren hinaus ins Gelände und mit Waffen üben. Die Bewaffnung bestand aus einem alten MG.34 (Maschinengewehr), einigen Maschinenpistolen (MP.), Karabinern, Handgranaten und Panzerfäusten. Alles in allem eine sehr armselige Bewaffnung gemessen an der Ausrüstung der Amerikaner.

Nach einigen noch friedlichen Schießübungen wurde ich zum MG-Schützen ernannt, denn die meisten jungen Burschen hatten kaum Erfahrung im Umgang mit den erwähnten Waffen. Ich hatte im Herbst 1944 eine recht gute Ausbildung im Wehrertüchtigungslager bei Posen erhalten. So wurde ich mit meinen mal gerade 17 Lenzen zu einem Aktivposten in diesem wilden Haufen. Da wir zu Hause eine große Jagd besaßen, war ich sowieso im Umgang mit Waffen sehr geübt.

Nach einer kurzen waffentechnischen Ausbildung mußten wir alle - und das betraf nun auch die älteren Jahrgänge - Schützengräben ausheben und Panzersperren bauen. Bei diesen Arbeiten wurden wir von den Bewohnern der angrenzenden Wohnhäuser nicht gerade mit freundlichen Gesten und Wörtern bedacht. Aber was sollten wir tun? Befehl war Befehl. Ein wirkliches Hindernis waren diese Sperren für die Amis allerdings nicht.

Ein paar Tage später, wir saßen gerade in der Schule beim Mittagstisch, knallte es plötzlich ganz fürchterlich. Einige rannten an die Fenster, um zu sehen, was da passiert war, andere rannten bezw. stürzten die Treppen hinab in den Keller, ohne den Grund für die Knallerei zu kennen. Die erfahrenen Weltkriegsteilnehmer erkannten, daß es sich um Schrapnell-Geschosse handelte. Das sind Artilleriegranaten, die in einigen Metern über der Erde bersten und ihre Splitter und Kugeln von oben in die Stellungen schleudern. Bei solchen Granaten bietet ein Schützenloch keinen Schutz.

Diese Granaten platzten nun im Bereich unserer Unterkunft, also in der Nähe der Schule. Der Beschuß richtete zwar keinen größeren Schaden an, aber er zwang uns, unter einer Überdachung zu bleiben.

Damit war nun seitens der Amerikaner der Kampf eröffnet. Die Amis hatten es aber gar nicht eilig, unsere Stellung anzugreifen. Sie begnügten sich zunächst damit, uns mit Artillerie und Bomben zu bepflastern. Nach und nach zogen sie auch Panzer hinzu, die uns aus respektabler Entfernung ebenfalls beschossen. Über uns kreiste immer wieder ein Beobachtungsflugzeug, das der amerikanischen Stellung unseren genauen Standort übermittelte. Das dauerte etwa 3 Tage lang und war für uns äußerst unangenehm, zumal wir uns überhaupt nicht wehren konnten. Wir konnten unseren Streß durch Zurückschießen nicht abbauen, denn für unsere Bewaffnung waren die Amis zu weit entfernt. Durch den Beschuß traten bei uns Verluste ein: Verwundete und Tote. Schließlich wurde es uns doch zu bunt. Ein kleiner Stoßtrupp von 4 Mann schlich sich mit Panzerfäusten und Maschinenpistolen (MP) bewaffnet an einen amerikanischen Panzer heran. Ich mußte dieses Unternehmen mit meinem MG absichern. Mit kurzen Feuerstößen zwang ich die amerikanische Infanterie in Deckung, sie mußten also ihre Köpfe einziehen und konnten somit ihr Vorgelände nicht beobachten.

Es gelang meinen Kameraden tatsächlich, einen Ami-Panzer abzuschießen und sogar noch 2 Gefangene mitzubringen. Die Amis waren wohl doch etwas zu sorglos gewesen. Danach wurden sie allerdings sehr wild und beschossen unsere Stellung noch mehr. Ganz besonders hatten sie es auf meinen MG-Stand abgesehen. Das Schulgebäude beschossen sie nicht, denn dort vermuteten sie richtigerweise ihre gefangenen Kameraden. Mit meinem MG konnte ich nun nicht mehr viel anfangen. Ich hatte auch keine Lust, mich zusammenschießen zu lassen, so meldete ich dem Hauptmann einen Defekt am MG. Es fand sich auch niemand, der es hätte besser machen wollen. So wurde das MG unbrauchbar gemacht. Dafür bekam ich nun eine MP und zwei Panzerfäuste, was mir sehr viel angenehmer war.

Die Nacht vom 17. zum 18. April 1945 werde ich nie vergessen. Die Amis planten wohl endlich den Durchbruch durch den schwachen äußeren Verteidigungsring. Sie beschossen unseren und den Nachbarabschnitt die ganze Nacht hindurch mit Artillerie. Hinzu kam nach einem sehr warmen Tag in dieser Nacht ein schweres Gewitter auf. In dem Getöse konnte man kaum noch unterscheiden, ob es Blitz- oder Granateneinschläge waren.

Ein Inferno brach über uns herein. Wir hatten eine dünne Postenkette in einem kleinen Waldstück gebildet. Leider hatten wir keine Zeit gehabt, Schützenlöcher auszuheben. So waren wir dem Beschuß ziemlich schutzlos ausgesetzt. Ich war sehr müde und lehnte mich an einen Baum. Granatsplitter sirrten in der Umgegend herum. Ein sehr großer Splitter schlug in Lendenhöhe nur wenige Zentimeter neben mir in den Baumstamm. Dieser Splitter hätte mich halbieren können. Also wieder mal großes Glück gehabt! Die amerikanische Infanterie hielt sich in unserem Abschnitt sehr zurück. Nur im Nachbarabschnitt hörte man am frühen Morgen starkes Gewehrfeuer. Wir überlegten noch, ob das wohl jetzt der große Angriff der Amerikaner auf Leipzig ist. Plötzlich kam ein Melder zu unserem Hauptmann gerannt und sagte ihm, daß die Amis im Nachbarabschnitt durchgebrochen seien. Wir liefen demnach Gefahr, im Außenring eingekesselt zu werden. Daraufhin wurde unsere Kompanie zusammengetrommelt, und zwar auch die älteren Männer in der Schule, denn die neue Parole hieß: Absetzen in Richtung Stadtzentrum. Der Treffpunkt wurde genannt. Wir sollten uns in kleinen Gruppen durch ein Wald- und Wiesengebiet unter starkem Artilleriebeschuß dorthin zurückziehen.

Das klappte zunächst sogar ganz gut. Zu meiner Gruppe gehörte mein Vater und zwei weitere Kameraden, die ebenfalls aus Ostdeutschland stammten. Wir fanden den angegebenen Ort und staunten über die sehr kleine Gruppe, die sich dort eingefunden hatte. Wo waren wohl die anderen geblieben? Die meisten unserer Kompanie stammten ja aus Leipzig und Umgebung.

Der Hauptmann war auch ganz ratlos. Da sich aber im Laufe der nächsten Stunde niemand mehr einfand, ging er davon aus, daß die meisten wohl von der Fahne gegangen waren., also nach Hause getürmt sind. Durch den Beschuß können aber auch Verluste eingetreten sein. Schließlich gab er uns paar Anwesenden die Hand und verabschiedete sich mit den Worten: „Kameraden, hiermit entlasse ich Sie aus diesem Kampfeinsatz und wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft". Damit verschwand nun auch unser Hauptmann.

Zum Schluß waren wir nur noch 6 Mann. Wir überlegten noch, was wir wohl machen sollen, denn Entlassungspapiere hatten wir ja nicht, als plötzlich in der nächsten Straße Gewehrfeuer zu hören war. Daraufhin kamen 3 deutsche Militärautos angefahren. Die Soldaten riefen uns zu, wir sollten verschwinden, denn die Amerikaner kämen gleich. Sie warfen uns aber Gott sei Dank Schokoladenpakete und Keksdosen zu, u.a. auch Schokakola. Das war eine wunderbare Überraschung, denn wir hatten schon lange nichts gegessen. Das sollte aber auch für die nächsten Tage unsere Verpflegung sein.

Ich wollte auf keinen Fall in amerikanische Gefangenschaft geraten, denn es hieß, daß die Amerikaner Deutsche aus dem Osten, besonders aber die aus dem früheren Polen, an die Russen oder auch an die Polen ausliefern würden.

So klingelte ich an einer Haustür. Eine Frau ließ mich eintreten. Ich schilderte ihr kurz meine Befürchtungen. Daraufhin gab sie mir eine Ziviljacke, die ich gegen meine Uniformjacke eintauschte. Leider vergaß ich in der Eile meinen Ausweis bzw. auch mein Soldbuch mitzunehmen. Das hätte verdammt gefährlich werden können. Unsere Waffen machten wir unbrauchbar und warfen sie weg. Nur eine Pistole behielt ich noch im Stiefelschaft.

Mein Vater und ich beschlossen, uns durch die amerikanischen Linien zu den deutschen Truppen durchzuschlagen. Zu uns gesellte sich noch ein dritter Mann. Wir mußten schleunigst verschwinden, denn die Amis saßen uns schon im Nacken. Es muß der 18. April gewesen sein. Wir gingen Richtung Nordosten. Noch in der Stadt Leipzig kamen wir am Nachmittag an einem Gutshof vorbei. Da wir nicht nur Schokolade essen wollten, baten wir die Mamsell im Tausch gegen etwas Schokolade, uns evtl. ein warmes Essen zu geben. Sie hatte Mitleid mit uns und setzte uns einen guten Eintopf vor. Das war ein Genuß!

Wir waren fast fertig mit dem Essen, als plötzlich die Gutsherrin die Küche betrat. Sie wünschte uns zwar noch einen guten Appetit, aber sie riet uns, so schnell wie möglich zu verschwinden. Das war keinesfalls boshaft gedacht. Sie sagte uns, daß heute ein nahe gelegenes KZ-Außenlager von Bewachern (SS-Leute) in Brand gesetzt worden sei, dabei sollen auch viele Insassen erschossen worden sein. Danach hätten sich die Bewacher abgesetzt. Sie meinte noch, daß, wenn uns die Amerikaner hier fänden, wir sicher in den Verdacht gerieten, zu den versprengten Bewachern zu gehören. Was das für mich bedeutet hätte, war mir klar, ich hatte ja keine Papiere!

Wir waren entsetzt über diese Nachricht und schrieben sie einem verrückt gewordenen und verbrecherischen KZ-Kommandanten zu. Daß die Praxis der Judenvernichtung zum System gehörte, haben wir erst viel später erfahren.

So machten wir uns auf den Weg Richtung Stadtgrenze an der nördlichen Autobahn. Ein Teilstück war seinerzeit schon fertig. Kurz vor der Autobahn befand sich eine Siedlung. Jedes Haus war von einem Garten umgeben. Wir versteckten uns im Gebüsch in einem der Gärten. Von hier aus konnten wir die Autobahn beobachten. Wir sahen, daß auf der Autobahn viele amerikanische Autos und auch Panzer fuhren. Uns war klar, daß wir den späten Abend abwarten mußten, um die Autobahn einigermaßen gefahrlos zu überqueren. Als es schon dunkel wurde, bemerkten wir eine Ami-Streife, die die Gärten kontrollierte So gerieten wir in eine sehr brenzlige Situation, denn die Amis schossen lieber erst, bevor sie fragten. Außerdem hatten sie einen Riesenbammel vor sogenannten Werwölfen. Soweit ich es weiß, gab es diese Werwölfe gar nicht; sie waren ein Phantom in den Köpfen der Amis. Jedenfalls haben sie jeden vermeintlichen Werwolf sofort erschossen. (Werwölfe sollten die deutsche Variante von Partisanen sein). Als es noch dunkler wurde, brach die Militärstreife die weitere Durchsuchung der Gärten ab. So hatten wir wieder mal viel Glück, nicht entdeckt zu werden.

In der Nacht schlichen wir dann über die Autobahn Richtung Taucha-Eilenburg. In einiger Entfernung von der Autobahn machten wir in einem Gebüsch erst mal unser Nachtlager. Gott sei Dank war das Wetter recht warm, denn Decken hatten wir nicht bei uns.

Am nächsten Morgen, es war ein sonniger Frühlingstag, gingen wir querfeldein Richtung Front im Nordosten. Auf den Feldern waren Bauern bei der Frühlingsbestellung. So fielen wir wohl nicht weiter auf. Das amerikanische Militär bewegte sich nur auf den Straßen. Die neue Front verlief inzwischen in der Nähe von Eilenburg. Der Geschützdonner war gut zu hören.

Als es schon dunkelte, waren wir in der Nähe der amerikanischen Linien. In dieser Nacht wollten wir den Durchbruch schaffen. Das Schießen an der Front sollte für uns die Orientierung sein. Doch nach und nach ebbte das Gefecht ab. Wir schlichen uns noch etwas weiter vor und setzten uns in ein Rapsfeld, das uns Deckung bot. Hier warteten wir auf ein kleineres Geschieße, um die Frontlinien zu erkennen. Doch nichts geschah. Es blieb alles ganz ruhig. So trauten wir uns nicht, noch weiterzugehen, denn zu leicht hätten wir amerikanischen Soldaten in die Hände fallen können. Im Morgengrauen gegen 4 Uhr kam ein deutsches Flugzeug angeflogen. Plötzlich ratterte ein amerikanisches MG. ganz in unserer Nähe los. Dieses MG. beschoß das deutsche Flugzeug. Auf einmal geriet die ganze Front in Aufruhr, denn beide Seiten beschossen sich zunächst mit Gewehren und Maschinengewehren. Wir lagen mitten zwischen den Amerikanern. Deckung gab uns nur der schon recht hohe Raps. Ein Glück, daß die deutschen Truppen keine Artillerie oder Granatwerfer einsetzten, denn wir saßen ja nicht in einem Schützenloch und hatten demzufolge auch keinen Schutz vor Splittern. Nach etwa 3 Stunden Kampf hatten sich die deutschen Soldaten zurückgezogen, und die Amerikaner konnten weiter vorziehen. Mit viel Glück sind wir nicht entdeckt worden. Nun lagen wir wieder hinter der amerikanischen Frontlinie. Wir warteten noch die Dunkelheit ab und beschlossen nun, unser Vorhaben aufzugeben. Es war der 20. April, Hitlers Geburtstag, übrigens sein letzter. Unser neues Ziel war nun Naunhof, denn dort hatten wir ja einige gute Bekannte aus unserer Lazarettzeit.

Wir brauchten mindestens drei Tage, um nach Naunhof zu kommen. Dabei hatten wir einige gefährliche Situationen zu überstehen. Einmal konnten wir uns nur retten, indem wir uns als Polen ausgaben. Die Amerikaner hatten zwar auch viel Polen in ihren Reihen, aber diese Streife war rein amerikanisch. Sie glaubten uns und gaben uns noch Kaugummi und Schokolade.

Als wir in Naunhof ankamen, schlichen wir zunächst zum Haus des Bürgermeisters. Die Familie nahm uns gleich auf und versteckten uns. Leider war der sehr anständige Bürgermeister inzwischen von den Amerikanern verhaftet worden. Es war schon ein älterer Herr. Wie sollte er wohl die Gefangenschaft überstehen? (Wie wir sehr viel später erfuhren, hat er zwar die Gefangenschaft überstanden, jedoch kam er als sehr kranker Mann im Herbst 1945 nach Hause). Diese Familie hieß Müller. Sie hatten eine knapp 30-jährige Tochter, von Beruf Direktrice in einer Textilfabrik in Leipzig. Mein Vater konnte bei Familie Müller bleiben.

Ich erinnerte mich an die Lehrerfamilie Loose in der Lenaustraße. Auf Schleichwegen ging ich dorthin, denn ich durfte keinesfalls einer Ami-Streife in die Hände fallen, da ich ja keinen Ausweis hatte. Dankenswerter Weise nahm mich Familie Loose auf und versteckte mich zunächst. Beide Familien teilten auch ihre spärlichen Lebensmittel mit uns; eine hoch anzurechnende Geste! Wir überlegten, wie ich wohl an einen Ausweis kommen könnte ohne gleich verhaftet zu werden. Ich bat Herrn Loose, beim Stadtkommandanten vorzufühlen. Sinngemäß etwa so: Ich kenne einen jungen Mann, dessen Flüchtlingstreck von den Russen zusammengeschossen worden ist. Dabei sind ihm alle Papiere verloren gegangen. (Was ja im Grunde so stimmte, nur der Zeitpunkt wurde in den April verlegt). Dieser Junge traut sich ohne Ausweis nicht her. Er würde dieses Problem aber gerne mit dem Kommandanten besprechen. Darauf der Kommandant: „OK, der boy soll kommen". Mit viel Angst im Bauch begab ich mich zu dem Kommandanten, denn nun galt es: Gefangenschaft oder Freiheit mit einem neuen Ausweis, damals Registrierschein genannt. Der Kommandant, ein Major, verwickelte mich in ein längeres Gespräch, das wir zum Teil deutsch und englisch führten. Ich hatte Glück! Er glaubte mir und schickte mich in die Schreibstube. Mit einem Fingerabdruck auf dem Papier erhielt ich meinen Registrierschein und konnte mich von nun ab frei in der Stadt bewegen. Aus der Lazarettzeit kannte ich einen Kleinbauern im Dorf Pommßen bei Naunhof. Ich ging dort hin und wurde erfreut aufgenommen. Der Bauer war noch nicht zu Hause. Seine Frau mit kleinem Sohn und Opa baten mich zu bleiben, denn sie fürchteten sich vor herumstreunenden ehemaligen Ostarbeitern. Damit war auch das Essenproblem gelöst, zumal ich nun als legaler Bewohner auch Lebensmittelkarten erhielt. Aber auch zur Familie Loose hielt ich weiterhin engen Kontakt. In Pommßen erlebte ich dann den 8. Mai, also das Kriegsende. Es war ein schöner, sonniger Tag. Meine Reaktion darauf war zunächst Trauer und große Sorge. Was alles würden nun die Alliierten mit uns anstellen? Wie soll es nun mit uns persönlich und mit Deutschland weitergehen? Das waren damals durchaus sehr berechtigte Sorgen.

Die großen Verbrechen, insbesondere an den Juden waren uns damals noch nicht bekannt, sonst wären unsere Sorgen wohl noch größer gewesen.