Zeitzeugenberichte   - Kriegs- und Nachkriegszeit -   

 

Marion

 

Der Krieg und die Folgen

Eltern: Mutter Hamburgerin, Vater Sachse

Mein Großvater zog 1910 nach Schlesien. So wurde ich als erstes Mitglied der Familie in Schlesien geboren. – Mein Schicksal! – Ich wuchs auf einem großen Hof auf und verlebte dort eine wunderschöne Kindheit. Wir wohnten oberhalb eines Flusses, da konnte man schwimmen. Im Sommer unternahmen wir Kutschfahrten und im Winter Schlittenfahrten. Wir hatten viel Freiheit.

Meine Eltern waren sehr modern und weltoffen. Sie waren der Zeit voraus. Wir waren viel mit dem Auto unterwegs, so lernte ich ganz Schlesien kennen. Wir waren eine kleine intakte Familie, es wurden viele Gespräche geführt. So wurde für mein Leben, mein Denken der Grundstock gelegt. Es ging eigentlich den Menschen immer besser. Busfahrten wurden arrangiert „Kraft durch Freude" und Häuschen wurden gebaut. Der Stahlhelm wurde von der SA übernommen, und die HJ wurde eingeführt. Das hörte ich von meinen Eltern.

1939 verdunkelte sich der Himmel, es war eine merkwürdige Stimmung. Mein Vater befürchtete die Einberufung zur Wehrmacht, und so war es dann auch. Das hieß Mobilmachung. Die Pferde, das Auto mussten abgegeben werden. Alle Männer wurden eingezogen. Ich hatte in der Mittelschule nur bei Lehrerinnen Unterricht. Zum Besuch des Lyzeums kam es später nicht mehr, da die Züge keine Kohlen zum Heizen hatten. Ich hätte mit dem Zug in die nächste Kreisstadt fahren müssen.

Ich musste dann zu den Jungmädchen, ich fand ´s gut, da ich Einzelkind war. Hier war ich mit vielen zusammen. Wir haben viel gesungen und Sport getrieben. Ich merkte, meine Eltern sahen das nicht so gerne, aber es war nicht zu umgehen. Die sogenannte Führung kam in die Schule. Die Firmen gingen gut, sie arbeiteten für die Wehrmacht.

Mein Vater war inzwischen in Polen, Belgien, Frankreich und Russland im Krieg. Auch in der Schule wurde der Hitlergruß eingeführt. Geschichtsunterricht fand nur bis zum 30 jährigen Krieg statt. In Erdkunde wurden die Siege der Wehrmacht und die Vormärsche besprochen. Wie ich so hörte, spitzte sich die Lage immer mehr zu. Der Russlandfeldzug war furchtbar. Es fielen so viele Männer. Im Westen waren die schlimmen Fliegerangriffe. Mein Vater, 48 Jahre alt, wurde wie so viele ältere Offiziere von der Wehrmacht entlassen. Er musste den Volkssturm aufstellen. Diese Männer sollten die Heimat verteidigen, Schützengräben schippen und Panzersperren bauen. Da wurden nur Steine übereinander gesetzt! Das alles für den Sieg. Im Herbst wurden die Schulen als Lazarette eingerichtet, und wir mussten helfen. Ich habe zu Hause geholfen.

Die so jungen Soldaten übten bei uns um die Gebäude mit Holzgewehren Krieg. Die Trakehner aus Ostpreußen machten bei uns Station, auch nahmen wir viele Flüchtlinge aus Oberschlesien auf. Ich fand alles unheimlich. Dann Anfang 1945 hörte man in der weiten Ferne schon den Geschützdonner. Es war Winter und kalt. Der Räumungsbefehl wurde morgens ausgegeben, und abends war der Russe da. Mit ihren Panzerspitzen kamen sie schnell voran, weil ja keinerlei Abwehr mehr war. Die Züge waren überfüllt oder fuhren nicht mehr, die Straßen waren verstopft. Die meisten sind nicht weit gekommen, sie wurden von den Russen überrollt.

Es war so bedrückend, die Eltern versuchten, mich nicht zu belasten. Wenige Menschen blieben zu Hause, die Flucht war ja so ungewiss. Nachts klopfte es an die Haustür. Es waren die russischen Elitetruppen. Mein Vater machte auf und konnte sich auch etwas mit ihnen verständigen. Danach kam der Mob, die Horden. Sie haben im Hause geplündert, und innerhalb kurzer Zeit war alles verwüstet. Uns drei sperrten die Russen in das Arbeitszimmer meines Vaters.

Ohne Licht, ohne Uhr haben wir die Zeit wie im Gefängnis zugebracht. Ab und zu kamen sie ins Zimmer, legten uns die Maschinenpistole an den Kopf, schossen in die Decke und verhörten uns. Man drehte den Hühnern die Köpfe um, alles was lebte, wurde abgestochen. – getötet –  Die Fische im Fluss wurden mit Handgranaten getötet und schwammen an der Oberfläche. Es wurde drinnen und draußen alles verwüstet. Die Bäume standen zum Teil mit der Krone nach unten, abgesägt, umgebrochen.

Wir waren Kapitalisten, Spione, Schwerverbrecher, und ich mit 15 Jahren, was hatte ich verbrochen? Nach einiger Zeit zogen die Russen weiter, und mein Vater wurde abgeholt. Meine Mutter, eine Frau vom Hof und ich versuchten zu überleben. Dann wurden die restlichen Deutschen gesammelt und sollten zum Arbeitseinsatz in den Osten gebracht werden. Meine Mutter suchte immer wieder nach meinen Vater, auch bei der russischen Kommandantur. Sie kam nie wieder, ich hatte Angst mitzugehen. – Schicksal – Wir haben vegetiert. Das ist totaler Krieg, und der Mensch lernt nicht daraus.

Im März ging es dann zu Fuß in Richtung Osten. Unterwegs trafen wir viele Strafgefangene, deren Lager  man geöffnet hatte. Auch viele deutsche Kriegsgefangene wurden nach Osten getrieben. Überall lagen viele tote deutsche Soldaten. Auch sie hatte man ausgeraubt, zum Teil auch entkleidet. Der Russe konnte alles gebrauchen. Manche fielen bei dem Marsch um, manche standen nicht mehr auf, sie blieben liegen. Jeder hatte um sein Leben zu kämpfen. Von Tieffliegern wurden wir beschossen. Eine Familie von zu Hause nahm mich auf, und wir blieben an der Oder.

Es war ein Überlebenstraining. Allein hätte ich es nicht geschafft. Nach einigen Wochen gingen wir bei Nacht und Nebel wieder nach Hause. Unser Hof war von Russen besetzt. Ich blieb bei den anderen, und musste auch mit zum Arbeitseinsatz. Die verwüsteten Häuser wurden entrümpelt, alles zum Fenster hinaus, so konnten die Russen dort wieder wohnen. Viele von uns hatten Gelbsucht oder starben an Hungertyphus.

Inzwischen war Waffenstillstand, der Kampf  zu Ende. Wir hören ja nichts. Unser Hof wurde frei. Also ging ich nach Hause, eine Chance, meine Eltern wiederzufinden. Man  musste auch hier Möbel zusammensuchen, um überhaupt leben zu können. Es kamen viele Deutsche zurück, u.a. auch Familien, die bei meinen Eltern gearbeitet hatten. Wir zogen alle in unser Haus. Um nicht zu verhungern, mussten die Leute erfinderisch sein. Kartoffeln, Getreide waren noch da. Viehsalz wurde aufgekocht, und so konnte es verwertet werden. Senfsamen wurde zu Öl ausgepresst. Brot konnte man backen. Das war alles. Inzwischen kam mein Vater aus der russischen Gefangenschaft heim. – Ja, so sahen wir uns wieder. –

Es waren alle sehr hilfsbereit. Mein Vater hatte für jeden immer viel Verständnis und hat vielen geholfen. Er war, wie man heute sagte, sehr sozial. Sonst hätte ich und später auch er, nicht überlebt. Zwei große Bauern aus dem Dorf wurden erschossen. Selbst die Russen und Ukrainer wollten wieder bei ihrem Chef arbeiten. Dann kam die polnische Zivilverwaltung. Viele Polen zogen auf den Hof, und das Plündern und Verprügeln ging wieder los.

8. Mai 1945 Kapitulation Waffenstillstand

Am 10. Febr. 1945 Einmarsch der Russen und totaler Krieg – grausamer ging’s nicht! Ende Febr. werden die restlichen Deutschen gesammelt Mein Vater wurde mitgenommen, meine Mutter suchte nach meinem Vater und war nicht mehr gesehen.

Nun saß ich da noch mit einem Stubenmädchen von uns und anderen restlichen Deutschen, die nun nach Rußland gebracht werden sollten. Wir mußten zu Fuß bis an die Oder marschieren, das waren 45 km. Unterwegs konnten viele vor Erschöpfung nicht mehr, die blieben einfach liegen. Unterwegs sahen wir Massen von toten deutschen Soldaten und trafen viele Kriegsgefangene.

Ich hatte Glück, eine Familie nahm mich auf und kümmerte sich um mich , ich war knapp 16Jahre. Jeden Tag wurden Leute zum Arbeiten eingesammelt – auf Nimmerwiedersehen - . Wir schlugen uns recht und schlecht durch - Überlebenskampf - . Wir schliefen auf Stroh..

Nach 6 Wochen – Ende April – packten wir unsere paar Sachen und flüchteten von der Oder nach Hause. (Haynau bei Liegnitz) Wir hatten es geschafft, und ich konnte mit zu dieser Familie ins Haus ziehen. Ob Krieg oder Frieden , wir wußten von nichts. Wir mußten beim Russen arbeiten, die verwüsteten Häuser und Wohnungen mußten freigeschaufelt werden – immer zum Fenster hinaus - . Dafür gab es einen Teller Suppe. Man war schwach und müde. So jung, immer noch ohne Eltern, es war zum Verzweifeln. Wir waren von der übrigen Welt abgeschieden.. Es gab keinerlei Nachrichten. Wir lebten unter russischem Militär.

Am 9. Mai hörten wir, der Krieg ist zu Ende! Als Freudenfeuer für den Sieger zündeten die Russen ein Haus an und tanzten und jubelten.

Für uns änderte sich nichts. Es war trostlos! Viele hatten Hungertyphus und starben nur immer so weg. Ich wollte nach Hause auf unser Gut. Mein Zuhause war von russischem. Militär besetzt. Nun kamen auch Deutsche zurück, die versucht hatten vor dem russischem Vormarsch zu fliehen und überrollt. wurden. Der Räumungsbefehl wurde am 1o. Febr. morgens gegeben, und abends waren die Russen da. Unter den Zurückgekehrten waren Frauen , die bei meinen Eltern gearbeitet hatten. Die Männer hatten die Russen einkassiert.

Das nannte sich nun Frieden – oder besser gesagt ,Waffenstillstand. Ich lieh mir von den Russen Pferde und legte mit einer Frau kartoffeln, steckte Bohnen und säte Rüben. Mitte Juni zogen die Russen ab, und ich konnte nach Hause. Ich nahm einige Familien mit in unser Haus, wie schon erwähnt, die Männer fehlten immer noch.

Wir entrümpelten unser Haus, suchten einige Möbel von uns im Dorf zusammen und versuchten dort zu wohnen.

Da mein Vater zwei Ernten in der Scheune hatte, war genug Getreide da. Es wurde mit Flegeln gedroschen, die Körner mit der Kaffeemühle gemahlen , und wir konnten Brot backen. Aus Rübenschnitzeln ( Viehfutter) kochten die Frauen Sirup. Aus Raps wurde Öl gepreßt. Das Viehsalz wurde gewaschen, und so hatten wir Salz. Das war’s .

Wir sind auch im Herbst noch von der restlichen Welt abgeschnitten. (keine Zeitung, keine Nachrichten.) Für mich war es eine furchtbare Zeit. Im Oktober kehrte mein Vater aus russischer Gefangenschaft zurück – mit sich und der Welt fertig-, von meiner Mutter kein Lebenszeichen.

Die Polen, inzwischen war es polnische Zivilverwaltung, fühlten sich bei uns zu Hause. Das Plündern ging wieder los, es war ja nicht viel zu holen. Wir Deutschen müssen eine weiße Armbinde tragen und werden wie Freiwild behandelt. Es ist ein furchtbares Leben – Vegetieren – bei Waffenstillstand. Von Frieden kann keine Rede sein. 

„ Ein Wunder, inzwischen ist über ein Jahr vergangen, und wir leben noch."

Polen erhält die Verwaltung von Ostdeutschland bis zur Oder – Neiße Linie von Königsberg und benachbartes Ostpreußen. Deutschland wird in 4Besatzungszonen und Berlin in 4 Sektoren eingeteilt.

Dann kam die Ausweisung. Wir mussten unsere Heimat verlassen mit leeren Händen. In Viehwaggons ging es Richtung Westen. Nach amerikanischer Kontrolle, die uns "deutsche Schweine" nannte, landeten wir als Ausgewiesene oder Vertriebene, man kann auch sagen als Bettler, mit unserem Güterzug in im Mai 1946 in Bielefeld.

Wir wurden im ehemaligen Luftschutzbunker, ein Flüchtlingslager, untergebracht.  Die Unterbringung   war erbärmlich, und zu essen gab es auch sehr wenig. Mein Vater ging auf Zimmersuche.  Wir bekamen  einen Raum. Die Fenster waren mit Pappe zugenagelt. Im Zimmer standen  ein Bett, eine alte Liege, ein Tisch, zwei Stühle, ein alter Kanonenofen (eiserner Ofen), und an der Wand hing ein Brett mit Haken, das war alles. Ein trauriges  Leben geht weiter, es war Frieden. Sonst war es trostlos.

Mein Vater konnte nur im Straßenbau arbeiten. Er hatte Landwirtschaft studiert und war Gutsbesitzer. Für mich  gab es auch keine Chance. Wir  hatten  ganz wenig  zu essen, es gab nur  die Zuteilung auf Lebensmittelmarken.  wir hatten auch wenig anzuziehen, keine Zeitung, keinen, Stift, keine Kohlen für den tollen Ofen. Man war wirklich  bettelarm. Der Verdienst meines Vaters war gering. Unterstützung gab es von keiner Seite. Wir waren Kriegsverlierer.  Ab und zu gab es Schlammkohle ( Kohlenstaub, der nassgemacht werden musste), ich sammelte  Holz in der Senne, damit sollte ich armes Mädchen  in unserem tollen Ofen  Feuer zaubern. Wir hatten einen Topf, und nun ging es ans Kochen. Beim Fleischer musste ich Schlange  stehen für sogenannte Brühe. Es war Wasser mit einem Fettauge.  Wenn es regnete , kam  ich  klitschnass nach Hause. Unsere Vermieter  konnten mir keinen Schirm leihen, denn wir waren lästige Zugereiste.

Andere Flüchtlinge nahmen  mich mitum Kartoffeln zu organisieren, Briketts von Kohlenzügen zu holen.  Ich konnte es nicht, so war ich froh.  Mein Vater sagte, er könne es nicht  mehr lernen. Er sagte, es ist leichter in der Jugend so arm zu sein, als mit 50 Jahren. Uns fehlte auch meine  liebe Mutter, die ja vom Russen verschleppt wurde. Sie war 43 Jahre und eine gut aussehende  Frau. Es war kalt, und wir mussten tüchtig hungern. Auch Bezugscheine für Garderobe  oder Schuhe waren knapp. Wenn ich an der Reihe war,  waren sie alle.  Verständlich, mich kannte keiner. Ich war fremd.

Mein Vater verrichtete weiter Hilfsarbeiten. Er konnte nur  berufsverwandte Tätigkeiten  ausüben.  Er hätte  aufgrund seiner Bildung bestimmt  andere  Arbeiten machen können.  Inzwischen bekam ich ein Federbett von meiner Patentante  in Görlitz geschenkt . Wir hatten nur eine Decke. Also machte ich mich auf den Weg – teils mit dem Zug, teils zu Fuß - .Im  Raum Görlitz konnte ich noch eines unserer Pferde verkaufen. Der Preis war lächerlich. Nach vielen Strapazen kehrte ich wieder zurück.

Ich hatte vor meiner Fahrt nach Görlitz eine Aufnahmeprüfung bei der Post abgelegt. Es wurde mir nach bestandener Prüfung eine Arbeitsstelle  zugesagt. Als ich zurück kam,  war die Stelle besetzt. Für mich sehr traurig. Die Einheimischen hatten  eben den Vorzug.  In Sachsen hätten wir menschlicher  leben können, denn mein Vater war  ja Sachse. Wir hatten die Nase vom Russen restlos voll.  Da meine Mutter Hamburgerin war, wären auch in Norddeutschland  die Chancen größer gewesen.  Man konnte hier im Westen die Besatzungszonen nicht wechseln.

Weihnachten 1946 wurden wir vom Kriegskameraden meines Vaters nach Glückstadt /Elbe eingeladen, die dort auch ein schönes Gut hatten.  Sie waren von den schlimmen Fliegerangriffen in Hamburg verschont geblieben. Da haben wir  nach 1 ½ Jahren wieder einmal  wie Menschen gelebt.  Es war wunderbar.  Da wurden wir eingekleidet, „ aus alt macht neu „. Danach ging es wieder etwas gestärkt nach  Bielefeld  in unsere „ Bude" zurück. Was  soll aus mir werden? Ich lernte im Schnellverfahren  Stenographie und Schreibmaschine . Wo sollte ich üben?  Mein Vater schickte mich zum Kirchenbüro. Ich durfte dort üben.  Es war viel zu tun. Ich wurde vorübergehend eingestellt und schrieb  Kirchensteuerbescheide.  Ich verdiente das erste Geld. Dafür kauften wir uns einen Schrank.

Zwischendurch war ich wieder in Holstein, so hatte mein Vater  meine Lebensmittelmarken. Ohne Hilfe wären wir verhungert und erfroren. Abends eine Scheibe Maisbrot mit Senf bestrichen für morgens gleich mit, das stellten wir an unsere Schlafstelle. Inzwischen hatten wir auch eine Zeitung, „die Freie Presse". Heute ist es die  „Neue Westfälische“. So hatten wir auch gleich Papier zum Feuer machen.

Mein Schulleiter hatte mir  eine Bescheinigung über die bestandene  „Mittlere Reife“ zugeschickt. Zu Hause hatte man Freunde und Beziehungen.  Da sieht die Welt ganz anders aus. Ich hätte gerne wie vorgesehen, das Abitur gemacht oder Sprachen gelernt, das lag mir sehr. Auch wäre ich gern Bibliothekarin geworden. Ohne Geld läuft eben nichts. So schrieb ich meinen Lebenslauf auf einen Zettel und ging zu Fuß auf Stellensuche.  Firmen gab es hier genug. Da konnte ich mich vorstellen. Die Stenolehrerin, ich nenne sie mal so,  hatte eine Freundin auf dem Arbeitsamt. Dadurch konnte ich mich bei der Deutschen Bank dem Personalchef  vorstellen. Ich musste ein Stenogramm aufnehmen und Schreibmaschine schreiben. Ich konnte am nächsten Tag anfangen. Inzwischen hatten wir das Jahr 1948, und die Währungsreform war auch erledigt. Das nächste Problem, als Lehrling verdiente  ich DM 35,--, als Anlernling  DM 90,--. Da wir das Geld nötig brauchten, fing ich also  für DM 90,-- an  und blieb  dort 10 Jahre.  Als ich nach meiner Heirat  halbe Tage  arbeiten wollte, war das bei der  Deutschen Bank nicht möglich, so ging ich zur Konkurrenz. Es wurde mir nicht leicht  gemacht.  Ich war ein braves junges Mädchen.  Mein Vater war mein guter Kamerad und hat mich gut beraten. So hatte ich Arbeit  und versorgte nebenbei den Haushalt. Wir hatten gerade das  Allernötigste. Zu  all diesen Dingen gehörte viel Selbstvertrauen und alles immer noch  ohne meine liebe Mutter. 

Wir nahmen wieder alte Verbindungen  auf.  Man hatte  etwas mehr  Hoffnung. Für meinen Vater sah  die Zukunft trostlos aus, Arbeiterleute wollten wieder bei ihm arbeiten. Ein schöner Hof  stand  hier zum Verkauf.  Es gab noch keinen Lastenausgleich, der aber in  keinem Vergleich  zum Verlust stand. So waren wir weiter arm. Mein Vater hatte sich unermüdlich bemüht etwas zu finden, aber ohne Erfolg. Er ist daran zerbrochen. Er hatte alles verloren, seine Frau, seine Familie, seine  Existenz und hatte  in dem Alter keine Chancen mehr.

Es war das tragische Schicksal der Vertriebenen, dass sie das Objekt von Großmachtentscheidungen waren und für die menschenverachtende Politik und Kriegsführung des Deutschen Reiches persönlich haftbar gemacht wurden.