Zeitzeugenberichte    - Ausbildung und Beruf -

 

Karin

Meine ersten und letzten Jahre als Lehrerin 

Der Anfang

 21 Jahre war ich alt, als ich im August 1959 – nach einem 5-semestrigen, halbherzigen Studium an der Pädagogischen Akademie in Wuppertal – als frisch gebackene Lehrerin vor meiner ersten Schule stand. Es war eine Zwergschule, ein zweigeschossiges Schiefer bedecktes Gebäude mitten im schönen Bergischen Land. Am Ende einer Ortschaft, für mich am Ende der Welt. Ausgesucht hatte ich mir diese Schule nicht. Sie wurde mir zugewiesen, obwohl ich nicht einmal ein Landschulpraktikum gemacht hatte. Die Schule hatte 50 bis 60 Schüler und wurde bis dahin von einem einzigen Lehrer geführt. Durch mich erlangte sie die 2-Klassigkeit.

Immerhin wurde ich vom 1. Lehrer und seiner Familie recht freundlich aufgenommen. Väterlich nannte er mich, wenn ich zwischen den 14- bis 15jährigen Schülern stand, seine älteste Schülerin. Ich bekam unten meinen Klassenraum für das erste bis vierte Schuljahr und unterm Dach eine 3-Zimmer-Wohnung für ca. 27,00 DM Miete zugewiesen. Mein Gehalt betrug etwa 517,00 DM.

Es war ein glühend heißer Sommer. Also musste ich mir zuallererst einen Kühlschrank kaufen, dann eine Küche. Ein altes Bett bekam ich von einer Tante geschenkt. Das war alles. Ich hatte weder einen Fernseher, noch ein Radio, noch ein Auto. Der Bus in die nächste Stadt fuhr einmal in der Woche. In der Nähe gab es lediglich einen kleinen Tante-Emma-Laden.

Nun hatte ich zwar täglich, zumindest im Sommer, den Ausblick in eine idyllische, grüne Landschaft, fühlte mich aber von allem Leben, von jedem beruflichen oder auch privaten Gedankenaustausch abgeschnitten. Im Winter machte die Kälte das Leben noch unangenehmer. In der Wohnung gab es nur Ofenheizung. Und war es mir morgens noch gelungen, das Feuer anzuzünden, so war es mittags garantiert wieder aus.

Der Unterricht gestaltete sich so, dass die Kinder des 3. und 4. Schuljahres meistens morgens um 8.00 Uhr und die Kinder des 1. und 2. Schuljahres um 10.00 oder um 11.00 Uhr in die Schule kamen. Den Älteren musste mehr oder weniger abwechselnd alles in den ersten Stunden – natürlich im Frontalunterricht, Bank hinter Bank – beigebracht werden, damit sie in den Letzten Stunden „still“ arbeiten konnten. Dann begann dasselbe Verfahren mit den ersten beiden Klassen. Das war der sog. Abteilungsunterricht, von dem ich vorher nie etwas gehört hatte. Dabei saßen im 1. Schuljahr nur zwei Kinder, eins davon der Sohn des Lehrers. Eine Pause gab es für uns Lehrer nicht, wir hatten immer Aufsicht. Die Eltern standen unserer Schule skeptisch oder gleichgültig gegenüber. Ihr Interesse galt ihrem landwirtschaftlichen Betrieb oder Nebenerwerb. Und wenn ich einmal ein Kind nachsitzen lassen wollte, weil es keine Hausarbeiten gemacht hatte, so ging es unbeeindruckt einfach nach Hause. Seine Mithilfe dort war wichtiger als der Unterricht. So jedenfalls die Meinung der Eltern!

Warum war diese ländliche Schulwelt nicht so heil, warum die Kinder nicht so gehorsam, wie ich es  erwartete und wie die Lesebücher der damaligen Zeit es doch nahe legten? Ich fühlte mich einsam, unfähig und verloren.

30 Jahre später

 Das befreiende, pädagogische Nachbeben im Anschluss an die 68er Jahre, das den einfachen Gehorsam abgelehnt und stattdessen den selbst bestimmten Menschen in den Mittelpunkt gestellt hatte, war in der Grundschule inzwischen schon wieder abgeklungen. Der frech radikale und anstrengende Anspruch war im Laufe der letzten Jahre von einer stärkeren Hinwendung zu den Bedürfnissen der Kinder abgemildert worden.

Ich war nunmehr 51 Jahre alt geworden, hatte während meiner 8 Familienjahre mehrmals den Wohnsitz gewechselt, meine Söhne groß gezogen und 6 Jahre lang selbst angehende Lehrer ausgebildet.  Ich war also um 3 Jahrzehnte gereift an Lebens- und Berufserfahrung, als ich im Jahre 1989 Schulleiterin an einer Gemeinschaftsschule mit ca. 300 Schülern wurde. Zu meiner großen Freude fand ich hier motivierte Kolleginnen und engagierte Eltern vor. Mit ihnen – das spürte ich sofort – sollten sich Ideen verwirklichen lassen. Und so war es auch!

Als erstes gründeten die Eltern einen Förderverein und bauten Regale für eine Schülerbücherei. Die ersten Bücher kauften wir dann von den Mitgliedsbeiträgen des Vereins. Weitere Einnahmen erzielten wir aus dem Verkauf von selbst Gebasteltem und Gebackenem auf unserem Weihnachtsmarkt, so dass die Bücherei schnell wuchs und später noch um eine „Filiale“ in unserem Anbau erweitert wurde. Doch nicht nur zu Weihnachten wurde gebacken und handlungsorientiert gearbeitet. Das Prinzip, nicht nur den Kopf, sondern auch Herz und Hand unserer Schüler anzusprechen, hatte für jeden Unterricht Gültigkeit. So entstand bald der Wunsch nach einer Schulküche. Doch wo sollten wir das Geld hernehmen und wo hätten wir sie einrichten können? Jeder Raum unserer Schule war schließlich von einer Klasse besetzt. Doch einer war sehr groß. Und hier lag die Lösung. Die Stadt ließ eine Wand hoch ziehen, machte damit aus einem Raum zwei und bezahlte auch die Küchenmöbel, die die Eltern besonders preiswert hatten besorgen können.

In meinem Kollegium gab es etliche musisch begabte Lehrerinnen. Und immer fand sich eine, die die verschiedenen Anlässe im Jahreslauf nutzte, um ihre Klasse mit einer Aktion zu präsentieren. So wurde das Erntedankfest nicht nur mit einem großen Gabentisch, sondern auch mit Gesang, Tanz und Kostümen begangen. Unsere musikalisch begabteste Kollegin gründete einen Schulchor und eine Trommelgruppe. Diese zu beobachten, machte mir besonders viel Freude: Hier wirkten selbst die schwierigsten Schüler   hoch konzentriert mit. Der Rhythmus disziplinierte.

Zu unserem Schulprogramm gehörten – neben den Sommer- und Weihnachtsfeiern – auch die Spiel-Sport-Feste. Hier konnten alle Kinder, nicht nur die sportlichen, einen Preis gewinnen.  Darüber hinaus gab es die Projektwochen. Sie standen in der Regel unter einem gemeinsamen Motto. Eine Woche lang wurde dann zu einem Thema gelesen, geschrieben, gebastelt, gespielt, gesungen und gekocht. Und zum Schluss wurden die Eltern eingeladen, damit sie die Ergebnisse bewundern und genießen konnten. Das war  immer ein summendes Leben in der ganzen Woche.

Überwiegend jedoch bestimmte natürlich der Schulalltag unser Leben. Dass er nicht völlig ohne Konflikte bewältigt werden konnte, versteht sich von selbst.  Doch auch der Alltag sah anders aus als in alten Zeiten. In jeder Klasse gab es gemütliche Sitzecken. Sie ermöglichten Kreisgespräche oder dienten als Rückzugsmöglichkeiten zum Lesen oder Spielen und später auch zum Schreiben am Computer.  Die Tische waren in Gruppen für 4 oder 6 Kinder angeordnet. Das forderte zur Gruppenarbeit auf und sollte die Teamfähigkeit fördern.

Mit den engagierten Eltern meiner Schule konnte ich – diesmal gegen viele Widerstände bei der Stadtverwaltung – noch eine Neuerung einführen: die betreute Halbtagsschule. Sie lag mir besonders am Herzen, hatte ich doch selbst als junge Mutter erfahren, wie schwer eine Betreuung für meine Kinder zu organisieren war. Wir fanden Räume in einer benachbarten Privatschule und eine ausgebildete Erzieherin als Leiterin der sog. Randstundenbetreuung. Endlich konnten wir den Stadtrat überzeugen. Die Mittel wurden genehmigt und fortan anstandslos bezahlt.

Auf diesen ersten winzigen Schritt in Richtung Ganztagsschule war ich stolz.

Ob aber die Schülerleistungen bei dieser Philosophie des Schullebens angemessen gefördert wurden, weiß ich nicht. Empirische Untersuchungen, die ich anregen wollte, wurden damals für überflüssig und für nicht durchführbar gehalten.