Zeitzeugenberichte    - Ausbildung und Beruf -

 

Marlies    

Schule und Studium nach dem Krieg

In Bielefeld begann der Schulunterricht nach dem Krieg im Januar 1946 . Wegen der Bombenschäden und der Beschlagnahme durch die Engländer mußten sich die zwei damaligen Jungenschulen (das Gymnasium = heutiges Ratsgymnasium)  und die Helmholtzschule (heutiges Helmholtzgymnasium) die Räume des Ratsgymnasiums auf der Basis von Schichtunterricht (vormittags und nachmittags im wöchentlichen Wechsel) teilen. Für die damaligen Mädchenschulen (Auguste-Victoria-Schule =  heutiges Gymnasium am Waldhof) und die Cecilienschule (heutiges Ceciliengymnasium) galt die gleiche Regelung. Allgemein waren Mädchen und Jungen in den Schulen getrennt.

Lehrer, die in der Partei waren, wurden je nach Position in der Partei suspendiert. Z. B. wurde der vormalige Leiter der Auguste-Victoria-Schule an die Cecilienschule versetzt, wo er als “normaler“ Studienrat eingesetzt wurde. Daraus ergab sich u. a. ein Lehrermangel. Darüber hinaus gab es noch Einschränkungen, die den Unterricht betrafen: Anfangs durften nur die Fächer Englisch, Mathematik, Religion, Kunst, Sport und Handarbeit unterricht werden. Da nicht alle früheren Schulbücher wegen der „politischen Färbung“ verwendet werden durften, mußten wir vieles mitschreiben. Die Kontrolle der Engländer ging so weit, dass wir eines Tages unsere nicht „einwandfreien“ Schulbücher verstecken mußten, weil die Engländer durch die Klassen gingen und sich die Schulbücher zeigen ließen.

Eine große Bedeutung nahm bis zur Währungsreform die Schulspeisung ein, die von den Besatzungsmächten  veranlaßt wurde. Sobald wir die Geräusche der Essenanlieferung hörten, wurden wir schon unruhig, weil wir uns auf das Essen freuten. Besonders begehrt waren eine Kekssuppe und eine Hafersuppe. Um die Schulspeisung zu bekommen, gingen wir auch in den Ferien zur Schule. Als Behälter für die Schulspeisung dienten uns die Kochgeschirre, die unsere Väter vom Militär mitgebracht hatten.

Wegen der Kohleknappheit kam es in den Wintern 1946 und 1947 oft zu sogenannten Kohleferien. In dieser Zeit kamen wir nur zweimal wöchentlich in die Schule, um Schulaufgaben in Empfang zu nehmen und die alten zu vergleichen. Darüber hinaus war es einige Zeit üblich, dass tageweise zwei Schülerinnen für die Heizung des Kanonenofens verantwortlich waren. Weil die Heizung nicht funktionierte, waren in jedem Klassenraum diese Kanonenöfen aufgestellt worden. Die Rohre dieser Öfen wurden durch das „Drahtglas“, mit dem die Fenster verschlossen waren, nach draußen geleitet.

Nach der Anfangszeit wurden die genannten Unterrichtsfächer erweitert durch die Fächer Deutsch, Französisch, Erdkunde, Geschichte, Physik und Chemie. Bis 1972 war das Ceciliengymnasim eine Mädchenschule

Als ich 1949 zur Höheren Handelsschule wechselte, ergaben sich einige Veränderungen im Stundenplan: Buchführung, Mathematik (Finanzmathematik und kfm. Rechnen), Deutsch, Englisch, Französisch, Steno, Maschinenschreiben, Physik, Chemie und Staatsbürgerkunde (ein bis dahin völlig unbekanntes Fach, das für die Erziehung der Schüler zu Demokraten wichtig war). Und wir waren in einer gemischten Klasse. Das erste Halbjahr mit den vielen Veränderungen war interessant aber auch anstrengend, zumal der Unterricht in zwei Gebäuden stattfand, da das Gebäude der Handelslehranstalten ausgebombt war. So waren wir nicht nur im „Hauptgebäude“ in der Sudbrackstr., sondern auch in unserer „Gastschule“, dem Helmholtzgymnasium. Der Unterricht fand von montags bis sonnabends von 8.00 bis 13.00 Uhr statt. Nach einer Doppelstunde von jeweils 45 Minuten gab es eine Viertelstunde Pause.

Da entgegen den Informationen bei der Anmeldung zur Höheren Handelsschule 1951 noch nicht die Möglichkeit bestand, in Bielefeld das Wirtschaftsabitur abzulegen, ging ich mit einer Freundin nach Rinteln in Niedersachsen. In unserer dortigen Klasse waren viele Nordrhein-Westfalen, die das gleiche Ziel wie wir hatten. In der Klassen waren 20 Jungen und 10 Mädchen. Selbstverständlich saßen wir Mädchen streng getrennt im hinteren Teil der Klasse. Die Altersstruktur entsprach der Nachkriegszeit. Unser Klassensprecher war schon 27 Jahre; denn er war in französischer Gefangenschaft gewesen, und auch unsere Klassensprecherin war mit 22 Jahren die Älteste von uns Mädchen.

Das Schulgeld betrug auch hier monatlich 20,00 DM. Das war so kurz nach der Währungsreform im Juni 1948 viel Geld. Weil das Schulgeld monatlich von einem Angestellten der Kreisverwaltung währen des Unterrichts eingesammelt wurde, zogen wir die Barzahlung vor. Es war hart, 1 ¼ Jahr vorm Abitur die Schule zu wechseln; aber der Zusammenhalt der Fahrschüler war wie der einer Familie. Einmal wöchentlich gingen wir ins Kino, das damals 70 Pfg. kostete, und sahen uns die Filme mit Maria Schell, Ruth Leuwerik, Dieter Borsche, O. W. Fischer und anderen an. Wenn uns Lehrer im Kino erwischt hatten, wurden wir am nächsten Morgen auf Herz und Nieren geprüft, ob wir unsere Hausaufgaben gemacht hatten. Die soziale Kontrolle in der reizvollen Kleinstadt war gründlich, zumal Ilse und ich bei einem pensionierten Pfarrerehepaar wohnten. Vor der Zulassung zum Abitur mußten wir eine Jahresarbeit anfertigen. Ich wählte das Thema „Der Einsatz der Frau in der Wirtschaft“. Im Gegensatz zu heute ist noch zu erwähnen, dass wir vor und während der Abiturprüfungen keine Auskünfte über die Zensuren bekamen. So war es selbstverständlich, dass wir vor der mündlichen Prüfung nicht erfuhren, ob und in welchem Fach wir mit einer Prüfung rechnen mußten. Sogar am Tag der mündlichen Prüfung wußten wir nicht, ob und wann wir in welchem Fach geprüft wurden. Die mündliche Prüfung fand an den beiden Prüfungstagen für die beiden Gruppen der Klasse von morgens 8.00 bis abends 21.00 Uhr statt. Wie sich die Zeiten ändern, ist z. B. daran zu sehen, dass 1959 das Hess. Kultusministerium verfügte, dass bei Abiturprüfungen die Prüfzeit und Wartezeit bei der mündlichen Prüfung 8 Stunden nicht überschreiten dürfen. Wichtig erscheint mir zu erwähnen, dass bei der Beurteilung der Schüler vorm Abitur die „sittliche Reife“ eine Rolle spielte. Von den anfangs 30 Schülern und Schülerinnen bestanden 22 das Abitur, davon 9 Mädchen!

Der Zufall wollte es, dass ich in dieser Schule meinen späteren Mann kennen lernte, der auch aus Bielefeld dorthin gekommen war und der ein Jahr vor mir das Abitur bestand.

Nach dem Abitur am 25. Februar 1952 bewarb ich mich an der Georg-August-Universität Göttingen zum Studium in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Die zwei Monate bis zum Studienbeginn am 01. Mai nutzte ich für ein kaufmännisches Praktikum bei der Firma Gundlach, einem Unternehmen, das Kalender und Verpackungen herstellte. Nach der Zulassung konnte ich mein Studium beginnen. Wie allgemein in den Nachkriegsjahren war auch der Wohnraum in Göttingen für Studenten knapp, und die Erstsemester bekamen noch kein Einzelzimmer vom akademischen Wohnungsamt zugewiesen. Ich mußte mir ein Zimmer mit einer mir bis dahin unbekannten Zahnmedizinerin teilen. Unser Vermieter, der Leiter des akademischen Wohnungsamtes, hatte für die drei bei ihm wohnenden Studentinnen strenge Regeln aufgestellt, deren Einhaltung uns nicht schwer fiel, da die Atmosphäre in der Familie gut war. Wie zu der Zeit allgemein üblich, war Herrenbesuch nur begrenzt erlaubt, und dann war auch um 22.00 Uhr „Zapfenstreich“.

Die Immatrikulation der neuen Studenten und Studentinnen war eine eindrucksvolle Feier, bei der die Professoren im Talar erschienen, und auch von den Studenten wurde festliche Kleidung erwartet. Bei dieser Veranstaltung wurde uns die Urkunde mit der Verpflichtung überreicht „die Verfassung der Universität und die Satzungen der Studentenschaft zu achten, Ehre und Ordnung der akademischen Gemeinschaft zu wahren, mit Ernst und Wahrhaftigkeit der Wissenschaft zu dienen und in Treue zu Volk und Vaterland für die Sache der Menschheit zu wirken“. Der Anteil der Studentinnen in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät betrug zu dieser Zeit ca. 20%.

Für den Lebensunterhalt bekam ich von meinen Eltern monatlich 100,00 DM. Die Studiengebühren von ca. 220,00 DM, deren Höhe von der Anzahl der Semesterwochenstunden abhing, finanzierte ich ebenso wie Bücher und Garderobe von dem Geld, (ca. 240,00 DM monatlich), das ich während der verschiedenen Praktika in den Semesterferien verdiente, z. B. bei der Fahrrad- und Motorradfabrik Rabeneick, wo ich aufgrund meiner schulischen Vorkenntnisse entsprechend in der Einkaufsabteilung eingesetzt wurde und eine Mitarbeiterin für die Dauer ihrer Kur ersetzen mußte. Während meiner Ferientätigkeit bei der Nordstern-Versicherung bekam ich interessante Einblicke in die Abwicklung von Schadensfällen, die mir später hilfreich waren.   Es bestand die Möglichkeit, dass man in der zweiten Hälfte der Mindeststudiendauer die Studiengebühren durch sog. Fleißprüfungen mindern konnte. Diese Prüfungen konnten schriftlich oder mündlich abgelegt werden. Die Ermäßigung war nach dem Studienverlauf gestaffelt.

Die Vorlesungen und Seminare bezogen sich in meinem Fall auf die Fächer Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Recht, Pädagogik, Deutsch, Englisch, Psychologie, Philosophie und Geographie. Bevor man sich um ein Thema für die Diplom-Arbeit bemühen konnte, mußten noch die Scheine u. a. für die Propädeutik (Finanzmathematik, Kfm. Rechnen und Rechnungswesen) eingereicht werden. Als Thema für meine Diplom-Arbeit in Betriebswirtschaftslehre wählte ich das Thema „Der Absatz von Fahrrädern und Mopeds“. Für diese freie wissenschaftliche Arbeit hatte man ein halbes Jahr Zeit. Wenn der Professor die Arbeit akzeptierte, konnte man sich zur Diplom-Prüfung melden. Nach mehrstündigen Klausuren in Betriebswirtschaftslehre, Deutsch, Englisch und Pädagogik folgte nach einigen Wochen die mündliche Prüfung, in meinem Fall in den Fächern der schriftlichen Prüfung und im Wahlfach Volkswirtschaftslehre. Dass diese Prüfungen im festlichen Rahmen in entsprechender (d. h. schwarzer) Kleidung stattfanden, war selbstverständlich. Zu erwähnen ist noch, dass mein Semester das wiederhergestellte Mannheimer Schloß mit dem mündlichen Examen „einweihte“. 1953 war ich von Göttingen nach Mannheim gegangen, um an der dortigen Wirtschaftshochschule mein Studium zu beenden. Viele unserer Professoren waren gleichzeitig an der Universität Heidelberg tätig. Am 30. April 1955 bestand ich dort mein Examen als Diplom-Handelslehrerin.

Beruf

Am 01. Juli 1955 begann ich meine praktische Ausbildungszeit als Handelslehramtskandidatin an der Handelslehranstalt in Gelsenkirchen. Ich wählte diese Schule, weil in Gelsenkirchen im Gegensatz zu Bielefeld ein Studienseminar war und ich so mit meinem Verlobten, der aus Gelsenkirchen stammte, nach dem gemeinsamen Studium die weitere Ausbildung gemeinsam machen konnte. Wir freuten uns darauf, unsere theoretischen Kenntnisse in die Praxis umzusetzen. Während dieser Zeit hatten wir 12 Wochenstunden unter Anleitung zu erteilen. Wegen des Lehrermangels „durften“ wir 6 weitere Stunden gegen Bezahlung unterrichten. Diese Stunden übernahmen wir gern, besserten sie doch unsere monatliche Vergütung von 180,00 DM um ca. 120,00 DM auf. So konnten wir den Nachholbedarf an Kleidung finanzieren; denn es wurde auf „ordentliche“ Kleidung geachtet. Meine erste Klasse als Klassenlehrerin war eine Mädchenklasse mit ca. 30 Mädchen, die eine 3-jährige Ausbildung zum „Industriekaufmann“ machten. In den Verträgen, die mit der Industrie- und Handelskammer abgeschlossen wurden, kannte man die heutige Bezeichnung „Kaufmann und Kauffrau“ noch nicht. In dieser Klasse unterrichtete ich Betriebswirtschaftslehre, Deutsch und Bürgerkunde. Mit der Übernahme des Faches Deutsch war die Aufgabe für das 2. Staatsexamen verbunden: Ich sollte einen Lehrplanentwurf für Deutsch in der Mittelstufe  weiterführen, den eine Kollegin für die Unterstufe erarbeitet hatte. Die Arbeit mit meinen Schülerinnen machte mir viel Spaß, war doch auch der Altersunterschied von ca. 8 Jahren nicht groß. Darüber hinaus waren es sehr aufgeschlossene und begeisterungsfähige Schülerinnen, wie sie im Ruhrgebiet nicht selten sind. Es ging bei diesem Lehrplanentwurf um den kulturkundlichen Deutschunterricht von der Entwicklung der deutschen Sprache über die germanische und christliche Dichtung, mittelhochdeutsche Dichtung, neuhochdeutsche Dichtung, Sturm und Drang, Klassik und Romantik. Als wir in einer Stunde über den Minnesang sprachen, begleitete uns während des Nachmittagsunterrichts vom benachbarten Kirmesplatz die Melodie „Ganz Paris träumt von der Liebe“. Eine passende „Untermalung“. Allgemein ist noch hinzuzufügen, dass 1955/56 Koedukation kaum praktiziert wurde, es sei denn, eine Klassenstärke von 30 Schülern war nicht möglich. In diese Zeit fallen auch Rock´n-Roll-Krawalle im Ruhrgebiet, die im Zusammenhang mit dem James-Dean-Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ standen. Dabei wurden sogar Autos demoliert. Auffallend war aber, dass die Schüler der berufsbildenden Schulen kaum beteiligt waren. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die Betriebe ein wachsames Auge auf ihre Lehrlinge –so wurden die heutigen Azubis noch genannt – hatten. Dass es selbstverständlich war, dass die Schüler aufstanden, wenn der Lehrer die Klasse betrat oder verließ, muß wohl nicht besonders erwähnt werden. Auch bei der Beantwortung von Fragen standen die Schüler auf. Disziplinarische Schwierigkeiten waren die Ausnahme. Es gab ja auch noch  bis 1975 die Kopfnoten (Verhalten im Unterricht, Beteiligung am Unterricht, Ordnung).

Während unserer praktischen Ausbildungszeit wurden wir Handelslehramtskandidaten wegen des Lehrermangels auch oft als Lückenbüßer ins „kalte Wasser geworfen“. Dabei passierte es mir einmal, dass ich in einer Handelsschulklasse hintereinander 2 Stunden Geschichte und 1 Stunde Bürgerkunde unterrichten mußte. Nach dem lückenhaften Geschichtsunterricht, den wir nach dem Krieg genossen hatten, eine Tortur. Diese „Abhärtung“ war hilfreich bei späteren Vertretungseinsätzen.

Gegen Ende der praktischen Ausbildung waren nach der Abgabe der Abschlußarbeit  zwei Lehrproben abzuhalten. Bei mir war es eine im Fach Deutsch über den „Übergang von der Klassik zur Romantik“ und in Betriebswirtschaft über den „Vergleich zwischen Prokura und Handlungsvollmacht“. Wie nicht anders zu erwarten, arbeiteten „meine Mädchen“ sehr gut mit und sahen das Ergebnis als unseren gemeinsamen Erfolg an. Als dann noch die anschließende mündliche Prüfung vor dem Prüfungsausschuß gut gelaufen war, konnte ich mich nun Handelsoberlehrerin (nach Beamtenrecht) nennen. Meine Schülerinnen überraschten mich mit einer Schale mit einem Gummibaum und 12 Rosen.

Wegen der schwierigen Lage am Wohnungsmarkt zogen wir – inzwischen hatten wir geheiratet -  nach Göttingen, weil wir dort größere Chancen hatten. Damals war es nahezu unmöglich, dass Ehepaare an einer Schule unterrichten konnten. Also ging ich an die beruflichen Schulen nach Northeim, wohin ich jeden Morgen mit dem Zug fahren mußte; denn ein Auto hatten wir nicht. Dass ich dort auch noch in der Zweigstelle in Uslar tätig war, fand wegen der Fahrerei nicht nur meine Begeisterung. Von meinen Schülern wurde damals von einem bekannten großen Ausbildungsbetrieb verlangt, dass sie vor dem Unterrichtsbeginn um 7.30 Uhr noch die Post abholen und dann im Betrieb verteilen mußten. Da ganze Familien in diesem Betrieb beschäftigt waren, wagte keiner einen Widerspruch. Für heutige Auszubildende wäre diese Regelung undenkbar.

Die wöchentliche Arbeitszeit für Lehrer im berufsbildenden Schulwesen betrug 1957 28 Unterrichtstunden. Als Beispiel für das Gehalt ist mir in Erinnerung geblieben, dass wir uns für ein Monatsgehalt eine dreiteilige Edelstahlspüle mit Unterschränken kaufen konnten. . Für eine ebenfalls 1957 neu auf den Markt gekommene Küchenmaschine mußten wir ein Drittel des Monatsgehalts aufbringen.

Neben der schulischen Tätigkeit wurde von den Lehrern die Mitwirkung bei der Abwicklung der Kaufmannsgehilfenprüfung, einer von der Industrie- und Handelskammer zentral z. B. für NRW veranlassten Abschlussprüfung am Ende der Ausbildungszeit, erwartet. Zur Aufsicht bei der schriftlichen Prüfung wurde man möglichst außerhalb des Unterrichts eingesetzt, während die mündliche Prüfung meist außerhalb der Schulzeit und für die Prüflinge anfangs auch nach der Arbeitszeit stattfand. Erst nach und nach wurde für diese Mitarbeit eine – mäßige – Vergütung gezahlt.     

50 Jahre berufsbildendes Schulwesen im Zeichen der Veränderungen

Die Veränderungen in diesem Schulwesen lassen sich am besten in einer chronologischen Darstellung aufzeigen:

1956

Die Verkündung der Schulgeldfreiheit durch den Landtag von NRW führte zu dem 

Kuriosum, dass Schüler der Höheren Handelsschule Schulgeld zahlen mußten, für sie die Schulgeldzahlung jedoch entfiel, wenn sie auf dem Gymnasium geblieben wären.

1960

Wegfall der Aufnahmeprüfungen für die Handelsschule und Höhere Handelsschule

1966

Die Schulpflicht wird auf 9 Jahre verlängert, die Handelsschule beginnt mit dem 10. Schuljahr.

Wegen des chronischen Lehrermangels auch im kaufmännischen  Schulwesens wird Diplom-Kaufleuten und Diplom-Volkswirten mit zusätzlicher pädagogischer Ausbildung die Möglichkeit geboten, an kfm. Schulen zu unterrichten. Diese Maßnahme sollte vorübergehend sein. Für den Unterricht im Fach Staatsbürgerkunde wurden Juristen als nebenamtliche Lehrkräfte ebenso eingesetzt wie Fachleute aus der Praxis für das Fach Warenverkaufskunde (für Lebensmittel und Textilien).

1968

Die Einführung der Mehrwertsteuer mit einer anderen Berechnungsgrundlage hat Auswirkungen auf die Fächer Kfm. Rechnen und Buchführung. Die Schulbücher sind aber noch nicht umgestellt.

In der Handelsschule entfällt der Hauswirtschaftsunterricht.

1974

Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung weist darauf hin, dass wegen des Geburtenrückganges und der steigenden Zahl von Lehramtsstudenten ein Stellenmangel zu befürchten ist.

1975

Am 01. 01. tritt die Volljährigkeit mit 18 Jahren ein. Volljährige Schüler sind nun selbstverantwortlich für den Schulbesuch und können Entschuldigungen für das Fernbleiben selbst unterschreiben. Den Eltern kann an Elternsprechtagen über volljährige Schüler nur Auskunft erteilt werden, wenn die Schüler ihre Einwilligung gegeben haben. Praktikable Lösung: Wenn die Schüler  ihre Einwilligung  nicht ausdrücklich widerrufen haben, gilt das als Zustimmung. Allerdings haben die Ausbildungsbetriebe weiter die Möglichkeit, sich nach ihren Auszubildenden zu erkundigen.

1978

Das bisher bestehende Gewaltverhältnis an Schulen wird in ein Rechtsverhältnis umgewandelt. Die Asch0 (Allgemeine Schul-Ordnung) schreibt die Mitbestimmung von Eltern- und Schülervertretern in Schulkonferenzen vor. Diese Verrechtlichung der Schule wird von vielen KollegInnen als Einschränkung bisher sinnvoller pädagogischer Maßnahmen empfunden. In den Lehrverträgen, die nun abgeschlossen werden, wird der Begriff „Lehrling“ durch „Auszubildender“ ersetzt. Und aus dem „Lehrherrn“ wird der „Ausbilder“. Der  „Drittel-Erlaß“ besagt, dass Klassenarbeiten, bei denen ein Drittel und mehr nicht ausreichend sind, entweder vom Schulleiter genehmigt oder neu geschrieben werden müssen.

1980

Mit der Einführung von BVJ und BGJ tritt eine weiter Veränderung im beruflichen Schulwesen ein, die der Tatsache Rechnung trägt, dass immer mehr Jugendliche keinen Ausbildungsplatz finden.

Das BVJ = Berufsvorbereitungsjahr vermittelt Schülern, die aus der Hauptschule kommen, Kenntnisse aus mehreren Berufsfeldern.

Das BGJ = Berufsgrundschuljahr verbindet den praktischen und theoretischen Unterricht in nur einem Berufsfeld (z. B. Wirtschaft und Verwaltung)

Stundentafel der 2-jährigen Handelsschule

Rd. Erlaß des Kultusministers 1960

                                             Unterstufe        Oberstufe

Religion                                    2                                2

BWL                                        3                               3 

Wirtschaftsmathematik              3                                3

Buchführung                             3                                3

Bürowirtschaft                          -                                 3

Deutsch                                    5                                4

Englisch                                    5                                4

Wirtschaftsgeographie              2                                 2

Kurzschrift/                     

Maschinenschreiben                 6                                6

Leibesübungen                         2                                 2

35                             34

Musische Erziehung                    2                               2

                                                37                             36              

Stundentafel der 2-jährigen Berufsgrundschule/Berufsfachschule (Handelsschule)

gültig im Schuljahr 2004/2005

Berufsbezogener Lernbereich

Betriebswirtschaftslehre mit Rechnungswesen

Volkswirtschaftslehre

Informationswirtschaft

Mathematik

Englisch

Berufsübergreifender Lernbereich

Deutsch/Kommunikation

Politik/Gesellschaftslehre

Religionslehre

Sport

Differenzierungsbereich

Stütz- und Förderkurse

Personalwirtschaft

Der Stundenplan einer Klasse am Carl- Severing-Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung sieht z. B. so aus, dass an 5 Tagen 32 Unterrichtsstunden, bezogen auf die oben angegebenen Bereiche erteilt werden.

Statistik der Carl- Severing- Schule

Städt. Kaufmännische Berufsschule, Berufsaufbauschule und

Handelsschulen mit gymnasialem Zweig

für das Schuljahr 1980/81

Berufsschule                                                                                                Gesamtzahl

Teilzeitklassen:                      Arzthelferinnen                                                             6

                                             Bürokaufleute                                                            11

                                             Buchhändler                                                                 5

                                             Dienstleistungskräfte im Postbetrieb                              1

                                             Drogisten                                                                      3

                                             Groß- und Außenhandelskaufleute                               16

                                             Reiseverkehrskaufleute                                                  3

                                             Schaufenstergestalter                                                     6

                                             Zahnarzthelferinnen                                                       6

Blockklassen:                       Bankkaufleute                                                              13

                                             Bürogehilfinnen                                                             6

                                             Einzelhandelskaufleute/Verkäufer                                20

                                             Speditionskaufleute                                                    12

Berufsaufbauschule             Vollzeitform                                                                    1

Berufsfachschule                 Zweijährige Handelsschule                                            10

                                             Zweijährige Höhere Handelsschule                             11

                                             Gymnasialer Zweig                                                      6

Gesamtschülerzahlen:          Berufsschule              58 Tagesklassen)         

                                                                                                                          2527

                                                                             51 Blockklassen)                               

                                                                                                                                     

                                             Berufsfachschule                                                       622  

                                                                             28 Klassen

                                             Berufsaufbauschule                                                 3149

 

Gesamtlehrerzahlen :            hauptamtliche Lehrkräfte                                                85

                                              nebenamtliche Lehrkräfte                                            15

                                                                                                                              100

Statistik des Carl-Severing-Berufskollegs

für Wirtschaft und Verwaltung

der Stadt Bielefeld 2004

Gesamtschülerzahl                                                                                           2500

davon  BerufsschülerInnen                                                                               1700                                                                                                                    

Berufsschule mit den Bildungsgängen:

Automobilkauffrau/-kaufmann

Buchhändlerin/-händler

Bürokauffrau/-kaufmann

Fachangestellte/r für Bürokommunikation

Fachangestellte/r für Medien- und Informationsdienste

Industriekauffrau/-kaufmann (Teleteaching)

Informationskauffrau/-kaufmann

IT- Systemkauffrau/-kaufmann

Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag

Kauffrau/-kaufmann für Bürokommunikation

Kauffrau/-kaufmann im Einzelhandel

Kauffrau/-kaufmann im Reiseverkehr

Sonderpädagogische Fördermaßnahmen

Verlagskauffrau/-kaufmann

Werbekauffrau/-kaufmann

Berufsfachschule mit dem Ziel:

berufliche Grundbildung in Verbindung mit Fachoberschulreife

berufliche Kenntnisse in Verbindung mit Fachhochschulreife

berufliche Qualifikation in Verbindung mit der allgemeinen

Hochschulreife

Fachoberschule in Teilzeit mit dem Ziel der Fachhochschulreife (ausbildungsbegleitend)

Bestehende Schulpartnerschaften mit:     Lernen für ein Leben in Europa

Dänemark, England, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Russland, Schweden, Slowakei und Spanien.

Wie die vorangestellten Übersichten zeigen, wurde meine Berufstätigkeit von diesen Veränderungen stark geprägt. Der Drittel- Erlaß bewirkte, dass das Leistungsniveau sank. Hatte ich Anfang  der siebziger Jahre in der Höheren Handelsschule nur bei der Rückgabe der Klassenarbeiten in Deutsch auf Fehler in Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung eingehen müssen, so war es später notwendig, kurz nach der Einschulung  diesen Bereich intensiv zu „bearbeiten“. Natürlich gab es auch Schüler, die fundierte Kenntnisse von der früheren Schule mitbrachten. Wenn diese Grundlagen gut waren, konnte ich auch an anspruchsvollere Themen denken. So erinnere ich mich an eine besonders gute Klasse, mit der ich „Wallensteins Lager“ von Schiller, „Mutter Courage“ von Brecht und „Die Soldaten“ von Hochhuth im Vergleich besprechen konnte.

In der Berufsschule wirkten sich Veränderungen im Berufsbild aus. Gab es bis Anfang der siebziger Jahre im Einzelhandel nur eine dreijährige Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, so wurde danach die Ausbildung aufgeteilt in eine zweijährige Ausbildung zum Verkäufer, an die eine weitere einjährige Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann angeschlossen werden konnte. Im Einzelhandel konnte es vorkommen, dass man dort sowohl Abiturienten (dabei handelte es sich oft um Söhne oder Töchter von  Einzelhändlern) als auch  Sonderschüler finden konnte, was zu einer methodischen Herausforderung führte, wollte man doch allen Schülern gerecht werden.

Auch der Blockunterricht wurde für einige Jahre in der Berufsschule praktiziert. Das bedeutete, dass die Schüler jeweils 6 Wochen im Wechsel zur Schule kamen und dann wieder im Betrieb waren. Während der Schulzeit erstreckte sich der Unterricht an 6 Tagen in der Woche von ca. 8.00 Uhr bis 13.00 Uhr. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, dass man sich immer wieder auf andere soziale Gruppen einstellen mußte.

Allgemein war der wöchentliche Unterricht in der Berufsschule auf 8 Stunden angelegt. Später wurde er auf 10 Stunden erweitert. Weil die Schüler je nach Stundenplan vor oder nach dem Schulunterricht noch in den Betrieb mußten, wurde die Stundenverteilung so geregelt: An einem Tag hatten die Schüler 6 Stunden Unterricht und mußten dann nicht mehr in den Betrieb, während sie vor oder nach 4 Stunden Schule im Betrieb zu erscheinen hatten.

Da die Textilhäuser wie C&A, Leffers und Opitz von ihren Auszubildenden „korrekte“ Kleidung verlangten, erschienen die Schüler immer im dunklen Anzug und mit Krawatte. Waren die Auszubildenden bei Abschluß des Ausbildungsvertrages schon volljährig, mußten sie immer vor oder nach dem Unterricht in den Betrieb, es sei denn, die Betriebe waren großzügig und stellten die Schüler frei. 

Wenn man die vorangestellten Schülerzahlen betrachtet, wird deutlich, dass die Räumlichkeiten in dem 1960 errichteten Schulgebäude nicht ausreichen konnten. Das Gebäude einer früheren Sonderschule wurde so zur „Nebenstelle“, in der vor allem die Berufsschüler unterrichtet wurden. Als auch diese Räume nicht mehr ausreichten, gab es noch einige Räume, die zur früheren Ravensberger Spinnerei gehörten. Der Unterricht in drei Gebäuden bedeutete, dass viele Kollegen und Kolleginnen in den Pausen das Schulgebäude wechseln mußten. Der Wechsel zur Spinnerei war wegen der Nähe relativ problemlos, während man beim Wechsel zur Pestalozzischule, der früheren Sonderschule, einen weiteren Weg hatte. Der Zeitmangel  wegen des Wechsels ermöglichte meist kein Gespräch mit Kollegen über schulische   Probleme, ganz zu schweigen von persönlichen Dingen.

An meinem Beruf gefiel mir besonders die Begegnung mit immer wieder anderen Schülern und die Unterrichtstätigkeit in den Fächern Deutsch, Betriebswirtschaftslehre, Staatsbürgerkunde und Rechnungswesen. Durch die Herkunft der Schüler aus unterschiedlichen Schulen und Betrieben ergab sich stets eine andere Zusammensetzung, und da die Schüler aller Schultypen uns spätestens nach 3 Jahren mit Abschluß der entsprechenden Prüfung verließen, war ein ständiges Kommen und Gehen.

In den Deutschunterricht bezog ich nach Möglichkeit die Theaterpädagogin ein, die uns auch hinter die Kulissen sehen ließ, und nahm ihre Hilfe bei der Beschaffung von Theaterkarten in Anspruch.

Im Fach Buchführung war es mein besonderes Anliegen, den Schülern die Angst vor diesem Fach, das mit einem ähnlichen Vorurteil wie Mathematik bei vielen Schülern behaftet ist, zu nehmen.

Familie und Beruf – eine Herausforderung

Ein besonderer Wendpunkt für junge Menschen ist die Heirat. Für junge Leute, die in den fünfziger Jahren die Entscheidung getroffen hatten, den Lebensweg gemeinsam zu gehen, war es selbstverständlich, diese Entscheidung mit der standesamtlichen und kirchlichen Trauung zu besiegeln. Allerdings gab es zu jener Zeit ein großes Problem: die gemeinsame Wohnung. Infolge der Kriegsereignisse war Wohnraum äußerst knapp, weshalb junge Verheiratete oft noch nach der Heirat vorübergehend bei den Eltern  wohnen mußten; denn als Verlobte hatten sie keine Chance, vom Wohnungsamt eine Wohnung zugewiesen zu bekommen. Wer jedoch in der Lage war, dem Vermieter für eine Neubauwohnung Baukostenzuschuß zu zahlen, konnte von Glück sprechen; denn die wenigsten waren dazu in der Lage. Die Höhe des Baukostenzuschusses bewegte sich um 10.000,00 DM. Es gab drei Varianten der Abrechnung: 1. konnte es ein „verlorener“ Baukostenzuschuß sein, 2. konnte der Baukostenzuschuß zur Hälfte mit der zu zahlenden Miete verrechnet werden oder 3. konnte er sogar in Ausnahmefällen ganz „abgewohnt“ werden. Die Wartezeit auf eine „richtige“ Wohnung konnte also dauern. In der Übergangszeit war es oft so, dass die jungen Ehepaare als Untermieter in 2 – 2 ½ Räumen ohne eigenes Bad wohnten. Die Möblierung dieser Wohnung erfolgte meist sukzessive, da vor dem Kauf der Möbel das Geld angespart werden musste. Ein besonderes Ereignis für Ehepaare ist die Geburt des ersten Kindes, werden doch nun aus Ehepaaren Eltern. Als unsere Tochter geboren wurde ,galt es nun, die 2 ½ Zimmerwohnung so einzurichten, dass auch noch Platz für ein Kinderbett usw.  war. Darüber hinaus mußten wir noch überlegen, wie lange ich berufstätig sein wollte. Ich entschied mich dafür, nach der Mutterschutzzeit, die 1957 sechs Wochen vor und sechs Wochen nach der Geburt betrug, zunächst aus dem Schuldienst auszuscheiden; denn halbe Planstellen gab es damals noch nicht für Beamtinnen.

Schwieriger wurde es, als unsere Tochter zu laufen anfing und die Wohnung zu klein wurde. Nun war guter Rat teuer. Der Wohnraum wurde 1959 noch bewirtschaftet, und es war in Göttingen besonders schwer, Wohnraum zu bekommen. Da uns das Geld für den Baukostenzuschuß von 10.000,00 DM fehlte, wählten wir einen anderen Weg, um an eine Wohnung zu kommen: Wir wandten uns an einen Schulbuchverleger, bei dem wir ein Schulbuch geschrieben hatten, und baten ihn um Hilfe. Da 1959 Lehrer im berufsbildenden Schulwesen  gesucht wurden, boten wir dem Schulleiter an, der uns eine entsprechende Wohnung bieten konnte, an seine Schule zu kommen. Der Erfolg zeigte sich bald, und wir konnten eine Neubauwohnung in Bad Oeynhausen ohne Baukostenzuschuß bekommen! Als ich dann gebeten wurde, auch an dieser Schule zu unterrichten, sagte ich zu. Damit unsere damals zweijährige Tochter während meiner Abwesenheit gut betreut wurde, stellten wir eine Haushaltspraktikantin ein. Nach der Geburt unserer Söhne 1961 und 1963 legte ich dann eine „Kinderpause“ ein; denn ich wollte mich nun ganz der Familie widmen. 1965 ergab sich eine glückliche Wende: Mit Hilfe einer Erbschaft war es uns möglich, in Bielefeld die Anzahlung für ein Reihenendhaus zu leisten.

Für die Tilgung und Verzinsung mußten wir ein Drittel des Monatsgehaltes aufbringen. Wir waren überglücklich, konnten wir doch nun unseren Kindern die Möglichkeit bieten, im eigenen Haus mit Garten aufzuwachsen!

1967 stand wieder eine Änderung im Familienleben an: Der Direktor der kaufmännischen Carl-Severing-Schule bot mir eine Stelle an, da er dringend Lehrer mit der Fakultas für Deutsch suchte. Nach kurzer Überlegung, wie der Haushalt organisiert werden sollte, sagte ich zu; denn das tägliche Einerlei im Haushalt war nicht mein Ding.

Eine zuverlässige Frau in der Nachbarschaft kümmerte sich um die allgemeinen Dinge im Haushalt und war auch zur Stelle, wenn die Kinder früher aus der Schule kamen als ich. Sie selbst hatte 4 Kinder und konnte neben der Arbeit in ihrer Familie  auf diese Weise Geld verdienen. Bevor ich zur Schule ging, wurden die Kinder natürlich von mir betreut, weil mir das sehr wichtig war. Das bedeutete allerdings, dass ich morgens um ½  6 aufstand, um alles in Ruhe zu erledigen. Auch 1967 gab es noch keine halben Planstellen für Beamtinnen; also entschied ich mich für einen Angestelltenvertrag mit ca. 18 Wochenstunden. Mit der entsprechenden Organisation und allen möglichen technischen Hilfsmitteln lief bald alles wie am Schnürchen. Solange unsere Söhne noch in den Kindergarten gingen, hatten wir eine „Kombilösung“ gefunden. Obwohl es in unserer Neubausiedlung trotz der damals noch vielen Kinder keinen Kindergarten gab, lösten wir mit Hilfe meiner Eltern dieses Problem: Wir nahmen morgens auf dem Weg zur Schule die beiden Jungen mit und „reichten“ sie an meinen Vater weiter, der sie zum Kindergarten brachte, der im Wohngebiet meiner Eltern lag. Mittags ging es auf dem gleichen Weg zurück. Auf diese Weise ergab sich ein enger Kontakt zwischen Großeltern und Enkeln. Für uns war es selbstverständlich, dass wir meine Eltern von verschiedenen Arbeiten entlasteten, die ihnen allmählich schwerer fielen.

Erwähnenswert ist noch, dass damals berufstätigen Müttern mit Vorurteilen begegnet wurde, dass sie nicht so gute Mütter seien wie die Mütter, die sich ganz der Familie widmeten. Die Kinder wurden oft als sog. Schlüsselkinder bemitleidet. Viele hatten auch Vorurteile gegenüber den „Doppelverdienern“. Dass auch doppelte Arbeit geleistet werden mußte, vergaß man. Bemerkenswert ist noch, dass die meisten Männer damals die Berufstätigkeit ihrer Frauen nur tolerierten, wenn die Familie nicht darunter „leiden“ mußte. Eine Beteiligung der Männer an der „Familienarbeit“, wie sie heute in den meisten Familien praktiziert wird, war noch nicht vorstellbar. Möglicherweise gehörte dieses Verhalten noch zur Ideologie im Dritten Reich, wo der Lebensmittelpunkt der Frau die Familie sein sollte. Natürlich gab es zwischendurch auch mal Probleme, wenn eins der Kinder krank war; aber wir fanden mit einiger Phantasie immer eine zufriedenstellende Lösung.

Sobald wir es uns finanziell leisten konnten, verlebten wir möglichst alle  Schulferien mit den Kindern z. B. in Cuxhaven, wo wir eine Ferienwohnung mieteten. So konnten wir uns in dieser Zeit den Kindern intensiver widmen (z. B. bei Strandwanderungen) und uns wichtige Gespräche führen. Allerdings waren mit Ausnahme der Sommerferien immer Korrekturen und Material zur Unterrichtsvorbereitung im Koffer.  

1977 stand wieder eine Änderung in unserer Familie an: Unsere Tochter ging nach dem Abitur zum Studium nach Kiel. Damit verließ das erste Kind das Elternhaus. Als sie einige Zeit später heiratete, wurden wir nun auch Schwiegereltern. 

Wie in vielen Familien lief in den folgenden Jahren  auch bei uns einiges parallel: Der Gesundheitszustand unserer Eltern bereitete uns immer wieder große Sorgen, und da wir beide keine Geschwister hatten, konnten wir nicht auf die Mithilfe von Geschwistern zurückgreifen. Gleichzeitig näherte sich der Zeitpunkt, wo unsere Söhne nach dem Abitur das Haus verließen, um das Studium zu beginnen oder den Zivildienst abzuleisten.

Als 1984 meine Mutter, die in unserer Nähe wohnte, starb und unser jüngster Sohn nach dem Zivildienst zum Studium nach Hamburg ging, war es in unserem bis dahin recht lebhaften Haus leer geworden. Diese Umstellung war nicht einfach für mich. Glücklicherweise war mir meine Berufstätigkeit eine Hilfe. Außerdem war unser anderer Sohn, der in Bielefeld Physik studierte, zwar nicht mehr bei uns im Haus aber noch am Ort. Nach der intensiven Familienphase waren wir nun in erster Linie wieder ein Ehepaar.

Nach einer verhältnismäßig ruhigen Phase bis 1987 wurde es  in unserer Familie wieder turbulent: Unsere Tochter bekam  Zwillinge! Die Freude war umso größer, als unsere Tochter und ihr Mann einige Jahre auf „Kindersegen“ gewartet hatten. Dieses Warten wurde mit der Geburt eines zweiten Zwillingspaares nach nur 16 Monaten „belohnt“! Die Freude war groß, aber die Belastung für die jungen Eltern enorm. So war es selbstverständlich, dass wir bei Bedarf in den Ferien die Eltern entlasteten. Dadurch war es uns auch möglich, die Kinder heranwachsen zu sehen. So wurden aus Eltern Großeltern!

1989 wurde unsere jüngster Sohn Vater. Nun hatten wir in kürzester Zeit 4 Enkel und eine Enkelin!

Zum 01. Februar 1991 schied ich mit 60 Jahren aus dem  Berufsleben aus und mein Mann zum 01.August 1991 mit 62 Jahren. Ein  halbes Jahr danach ließen wir uns Zeit für die Umstellung, um dann voll in den neuen  Lebensabschnitt zu starten, auf den wir uns so gefreut hatten. Neben vielen Reisen wollten wir wieder zur Uni gehen wie in unseren jungen Jahren. Aber leider kam alles ganz anders: Bei meinem Mann  wurde im Februar 1992 akute Leukämie festgestellt. Die Diagnose traf uns völlig unvorbereitet. Dass es eine schwere Krankheit war, war uns bewußt; aber alles andere war uns neu. Während der notwendigen Chemotherapien in der Uni-Klinik in Münster begleitete ich meinen Mann, um ihm während der schlimmen Phasen zur Seite zu stehen.  Obwohl die Ärzte bei der Aufnahmeuntersuchung davon ausgingen, dass mein Mann nur noch eine Lebenszeit von ca. einer Woche zu erwarten habe, blieb uns noch eine gemeinsame Zeit von 5 ½ Monaten mit 5 Chemotherapien. Instinktiv fing ich damit an, ein Tagebuch zu führen, damit ich noch Erinnerungen für später hätte. Gleichzeitig war es für mich eine Möglichkeit, die belastende Situation zu ertragen. Als mein Mann von den Ärzten erfuhr, dass er austherapiert sei und bald sterben würde, kam er nach Hause, wo er in harmonischer Atmosphäre im Kreis der Familie noch alles regeln konnte, was ihm wichtig war, und nach einer Woche starb.

Beim Rückblick auf mein Leben mit Familie und Beruf komme ich zu dem Ergebnis: Die wechselseitige Kombination von Familie und Beruf habe ich als eine Bereicherung empfunden, auch wenn die Belastung manchmal recht groß war. Aus heutiger Sicht würde ich aber noch mehr darauf achten, dass mir mehr Freiraum für die Pflege weiterer Interessen bleibt. War die Verwirklichung dieser Vorstellungen in meiner Generation noch nicht so weit möglich, so beobachte ich, dass sich das in der Generation unserer „Töchter“ ändert dank der veränderten Rollenverteilung von Mann und Frau.