Zeitzeugenberichte    - Ausbildung und Beruf -

 

Marion 

Ein Flüchtlingsmädchen - 17 Jahre alt - versucht beruflich Fuß zu fassen .

1939 begann der 2. Weltkrieg , 1945 war der totale Zusammenbruch, es war chaotisch. In den Jahren 1946/1947 versuchten die Menschen wieder im Frieden zu leben und aufzubauen.

Es war hart, aber erfolgreich für damalige Verhältnisse in meiner Lage.1948 , nach der Währungsreform begann eigentlich das normale Geschäftsleben wieder. Ich, als Vertriebene, hatte nicht viele Chancen. Meine Pläne schmolzen dahin. Um nicht nur auf dem Lande oder sonst Hilfsarbeiten zu machen ,lernte ich im Schnellverfahren Steno und Schreibmaschine schreiben (10 Stunden , mehr war finanziell nicht drin). Zum Schreibmaschine üben ging ich ins Kirchenbüro, das war dort möglich. Als viel Arbeit anfiel konnte ich Kirchensteuerbescheide ausschreiben . So verdiente ich mein 1.Geld, und wir konnten uns einen Schrank kaufen. Wir hatten ja kein Geld, und so fiel eine Ausbildung oder sogar ein Studium ins Wasser. So schrieb ich mit der Hand eine Bewerbung und einen Lebenslauf. Damit machte ich mich auf den Weg.

Ich ging von Firma zu Firma und stellte mich vor. Man sagte , mir fehle die Erfahrung. Das stimmte, aber was blieb mir anderes übrig. Wir mussten von irgend etwas leben . Mein Vater arbeitete als Hilfsarbeiter im Straßenbau, das hatte er in seinem Leben auch noch nicht gemacht- er war Unternehmer und hatte Landwirtschaft studiert !

Meine Stenolehrerin hatte eine Freundin auf dem Arbeitsamt . So bekam ich die Chance mich bei einer Bank vorzustellen. Ich musste ein Stenogramm aufnehmen und es in die Schreibmaschine übertragen. Das klappte sehr gut , und der Personalchef stellte mich ein - nicht als Lehrling, sondern als Anlernling. Die Freude war groß. Bisher hatte ich nur die Schulbank gedrückt und die Kriegswirren und die traurigen Jahre danach durchgestanden.

Ich fing am 20. 12. 1948 an. Das war für mich totales Neuland. Als Anlernling verdiente ich DM 78,--, als Lehrling hätte ich nur DM 35,-- bekommen. Da gab es gar nichts zu überlegen- der Not gehorchend ! Da wurden täglich Berge von Schecks eingereicht., denn in Bielefeld gab es viele Firmen., die nach dem Krieg gut florierten.

Die Schecks mussten gestempelt , somit nummeriert werden . Auch die Scheckeinreichung bekam einen Stempel. Nun ging es an das Sortieren. Jeder Scheck musste zu der Bank sortiert werden , wo er verrechnet werden konnte. Das war für mich nicht ganz einfach. Ich hatte hier keine Heimatkunde gehabt. Viele kleine Orte mit ihren Spar- und Darlehnskassen kannte ich nicht. Man schaute mich sowieso kritisch an als Vertriebene. Ich kann es mir vorstellen , wir waren oft nicht gerne gesehen.

Ich holte mir zu Hause bei meinem Vater Rat, denn er hatte schon etwas mehr von der Welt gesehen als Bielefeld. Am nächsten Tag fragte ich dann nach den kleinen Orten in Schlesien, da wussten sie auch nicht weiter, und ich war gerettet. Solche Situationen wiederholten sich häufig, heute nennt man es „mobbing". Ich war ein junges Mädchen und viel zu gut erzogen, mein Chef war ein Familienvater, das war mir später unverständlich. Dieser, Mann hatte wohl wenig Selbstvertrauen , wie sagte man immer, „ nach oben buckeln – nach unten treten".

Nun zu der Arbeit!. Diese Schecks mussten mit der Nummer und dem Betrag mit der Rechenmaschine aufgestippt werden. Das waren etwa 4000 Beträge und auch so viele Nummern. Zum Schluss wurde es mit den Scheckeinreichungen abgestimmt. Wehe es stimmte nicht, danach musste alles abgehakt werden. Da gibt es bei Zahlen die sogenannten " Zahlendreher " , z.B.: 35 oder 53 ! An einen pünktlichen Feierabend war damals  nicht zu denken. Überstunden wurden grundsätzlich ohne Bezahlung erwartet. Kam nach 16,30 Uhr ein Großkunde, das kam öfter vor, musste das noch erledigt werden. „ Der Kunde war damals immer König".

Die Scheckeinreichungen gingen dann in die Buchhaltung und wurden dem Kunden gutgeschrieben , und es musste alles immer abgestimmt werden. Es ging ja grundsätzlich immer nur um Geld. Die Woche hatte 6 Arbeitstage. Samstags war ich zwischen 14,00 und 15,00 Uhr zu Hause. Wir hatten 12 Arbeitstage Urlaub für das ganze Jahr. An große Reisen dachte man nicht, es fehlte auch das Geld. Am 31.Dez. wurde der Jahres- Abschluss gemacht. Sylvester waren wir meistens erst um 20,00 Uhr zu Hause. Am Neujahrsmorgen um 8,00Uhr mussten wir anfangen. Als ich mittags nach Hause kam, erschien unsere Vermieterin und rügte mich, wie es möglich sei ,jetzt erst das Treppenhaus zu putzen. Wir, mein Vater und ich, lebten hier in einer anderen Welt. So etwas kannten wir nicht..

Am 24. 12. versammelten wir uns in der Kassenhalle, ca. 120 Angestellte waren wir. Die „hohe Direktion „ gab jedem die Hand und wünschte "frohe Weihnachten"!  Bei einer Person blieb der "hohe Herr "stehen und sagte, auch wieder ein neues Gesicht! Nein, Herr Direktor, ich bin erst
3 Jahre hier! Nun, noch etwas Erfreuliches: An jedem Platz stand ein kleines Paket. Inhalt : 1 Flasche Steinhäger , 1 Salami und 1 Kasten Pralinen, -das war unser Weihnachtsgeschenk von der Bank.

Als ich in der Wechselabteilung arbeitete, mussten auch die Wechsel noch sortiert werden , es musste sorgfältig auf das Verfalldatum geachtet werden . Mancher Wechsel wurde nicht eingelöst. Mit Geld umzugehen war noch nie jedem gegeben.!

Meinen Mann lernte ich auch an der Bank kennen, es kamen in diesen Jahren einige aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Die hatten zum Teil vor 10 Jahren ihre Banklehre abgeschlossen, und mussten nun erst mal wieder Fuß fassen. Wie gerne hätte da mancher noch studiert , aber mit 30 Jahren wollten diese Männer einfach arbeiten und Geld verdienen. Als wir uns verloben wollten- ich fand das damals schon unnütz- musste mein Mann sich erst eine Genehmigung von der Direktion einholen. Partnerschaften im Bank-Betrieb waren „gefährlich"!

Inzwischen hatten wir geheiratet, mein Mann wechselte zur Filiale nach Paderborn und konnte sich wesentlich verbessern. Noch vorhandene Sparbücher konnten angemeldet werden. Bei uns war nur noch ein Buch übriggeblieben , alles andere war vernichtet durch den Einmarsch der Russen. Ich legte dieses bei einem Sachbearbeiter vor, der machte mich erst einmal fertig, er konnte nicht verstehen, ,daß das Buch in so einem schlechten Zustand war,  hatte  der wohl vom Krieg noch nichts gehört und gesehen, man fragte sich, wo und wie dieser Mann wohl gelebt hat. Ich nahm mein Buch und meldete es bei einer anderen Bank an.

Später wollte ich gerne halbe Tage arbeiten. Ich hatte ja immer nebenbei den Haushalt versorgen müssen, denn ab meinem 15. Lebensjahr hatte ich keine Mutter mehr! Alles war ja auch längst nicht so bequem wie heute, an eine Waschmaschine war ja gar nicht zu denken,  aus „ Alt" wurde „Neu" gemacht, ob es um das Stricken oder Nähen ging, und alles mit der Hand.

Bei meinem Arbeitgeber gab es keine Halbtagsstelle. Also bewarb ich mich bei der Konkurrenz. Ich konnte bei der Volksbank als Sekretärin in der Kreditabteilung anfangen- also übte ich wieder Steno . Nun wurde ich zur Direktion geordert! Es se unmöglich zu Konkurrenz zu gehen, aber verbieten konnten sie es mir nicht mehr. Mein Zeugnis fiel dennoch sehr gut aus.

Bei der Volksbank schrieb ich nach einem Diktafon, es war für mich bei einer kleineren Bank sehr interessant. Bei finanziell schwachen Kunden wurde ja alles der Bank übereignet., eingeschlossen Garderobe , Möbel überhaupt der ganze Hausstand , Grundstücke und Immobilien sowieso..

Es war einmal!. Leben bedeutet Veränderung, und jetzt zur Zeit der Technik geht es noch schneller.