Zeitzeugenberichte - geteiltes Deutschland -

 

Klaus

Besuch der DDR, Grenzerfahrungen

Anfang der 80er Jahre haben wir, gemeinsam mit Freunden, Urlaub in Ungarn gemacht. Unser Ziel war ein kleiner Ort, mehr eine große Gartenkolonie, in der Nähe von Siofok am Plattensee/ Balaton.

Zwei kleine Gartenhäuser, umgeben von jeweils schönen Nutzgärten, waren unser Domizil. In einem angebauten Hinterzimmer eines der Gartenhäuser machte ein Ehepaar gleichen Alters mit der 15-jährigen Tochter Urlaub. In kurzer Zeit hatten wir uns angefreundet und erfuhren, dass die Familie in Eberswalde, nördlich von Berlin, wohnt, also in der DDR. Sie hatten, wie wir auch, ihre Lebensmittel von zu Hause mitgebracht. Zu Anfang dachten wir, dass das Motiv, eigenen Lebensmittel mitzubringen, das gleiche wäre wie das unsere, nämlich aus Vorsicht, in Ungarn nichts Vernünftiges kaufen zu können.

In den Gesprächen miteinander erfuhren wir zu unserem Erstaunen, dass dies keinesfalls der Grund wäre. Sie erzählten uns, dass sie alle zwei Jahre in Ungarn Urlaub machten. Im Wechsel mit einem Ehepaar aus Budapest, dass auch unseren Freunden das Gartenhaus vermietet hatte, wurden die Wohnungen in Eberswalde und Budapest getauscht oder aber am Plattensee Urlaub gemacht. Für beide Familien hatte das den Vorteil, jeweils keine Miete für das Urlaubsdomizil bezahlen zu müssen.

 Die Regierung der DDR hatte strenge Auflagen bezüglich der Devisenbeschaffung, auch von Devisen aus Ostblockländern, erlassen. Je Urlaubstag durfte nur ein kleiner Betrag in Devisen umgetauscht werden. Im Ausland war die Nachfrage nach DDR-Geld nahezu Null, so dass auch vor Ort kaum ein Umtausch möglich war. Das hatte für die DDR-Urlauber in Ungarn zur Folge, dass wenige ungarische Forint zur Verfügung standen. Diese wenigen Forint wurden gebraucht, um westliche Güter zu kaufen. Denn diese gab es ohne Einschränkung in Ungarn zu kaufen. 

Ich kann mich noch heute an die Aussage unserer Freunde aus Eberswalde erinnern: So stellen wir uns den Westen vor.

 Diese wenigen Forint zwangen die Urlauber der DDR, auf viele Annehmlichkeiten in Ungarn zu verzichten, einfach weil das Geld fehlte. Für uns Westdeutsche, zumal wir DM schwarz tauschen konnten, war Ungarn ein Schlaraffenland. Alles Gewohnte war vorhanden und preiswert zu kaufen. Es machte Spaß, in Ungarn Urlaub zu machen. Unsere Lebensmittel hätten wir gut zu Hause lassen können. Nicht so unsere Landsleute aus der DDR. Für diese war es bitter und verletzend, sich als arme und mittellose Verwandte zu fühlen. Darum war es nicht erstaunlich, dass das Verhältnis untereinander alles andere als gut war.

 Die gemeinsamen 14 Tage Urlaub mit der Familie K. aus Eberswalde haben uns viele Stunden Diskussion in gemütlicher Runde bei ungarischem Wein und Grillfleisch, zu Anfang auch Grillwürstchen von zu Hause, geschenkt. Obwohl beide Eberswalder leitend tätig waren, er als Diplomingenieur  im EDV-Bereich eines großen Unternehmens und sie als Leiterin der Buchhaltung, waren die politischen Meinungen sehr gegensätzlich. Er war eher zurückhaltend bis negativ und sie sehr positiv dem System der DDR gegenüber eingestellt.

Fazit dieser neuen Freundschaft war es, den Kontakt zu pflegen, sich zu schreiben. Wir wurden für das Folgejahr nach Eberswalde eingeladen: In den folgenden Monaten hatten wir engen brieflichen Kontakt zur Familie K. Tatsächlich erhielten wir im neuen Jahr Besuchsvisen für die DDR, vermittelt von unseren Freunden.

Den Besuch in Eberswalde haben wir verbunden mit einem Kurzurlaub in West-Berlin, bei einer Tante meiner Frau. Die Tage in Berlin waren schön und abwechslungsreich. Am letzten Tag, vor unserer Weiterreise nach Eberswalde, empfahl uns die Tante einen neuen und großen Abfertigungsübergang in Tegel zu benutzen, wo mit schneller und problemloser Abfertigung zu rechnen sei. Dieser hatte auch den Vorteil, direkt auf unserer Route nach Eberswalde zu liegen.

Wir haben den Tipp angenommen und uns auf den Weg gemacht. Der Grenzübergang in Tegel war riesig. Es gab mehrere Abfertigungsschalter für Pkw und einige mehr für Lkw, insgesamt sehr beeindruckend. Irritierend war, dass außer uns kein einziges weiteres Fahrzeug, weder Pkw noch Lkw, abzufertigen war. Sofort stützten sich zwei Grenzsoldaten auf uns. Alle Koffer mussten ausgeladen und nacheinander auf ein Sichtgerät gestellt werden. Der Wagen wurden gründlich untersucht, unseren Visen kritisch geprüft und nach der Summe des Westgeldes gefragt. Inzwischen hatte einer der Soldaten das Sichtgerät eingeschaltet und unsere Koffer durchleuchtet. In einem Koffer wurde von ihm ein Kästchen festgestellt, dessen Inhalt wie Pistolenmunition aussah. Er machte mich darauf aufmerksam und fragte, was das sei. Ich wusste es nicht. Der Koffer war zu öffnen und wurde durchsucht. Das Päckchen geöffnet. Es stellte sich heraus, dass es sich um die Tampons meiner Frau handelte. Der Soldat bekam einen roten Kopf, doch dann mussten wir beide lachen. Endlich durften wir weiter fahren.

 Diese schnelle und problemlose Abfertigung, nach Aussage unserer Tante, hatte uns viel Zeit gekostet und unsicher gemacht. Insgesamt war ich sauer über die rüpelhafte Behandlung, so dass unsere Stimmung nicht zum Besten war. Wir waren wenige Minuten auf der Ringautobahn von Berlin unterwegs, als ich wenige hundert Meter vor mir am Rand einen Polizisten sah, der uns durch sein  Fernglas beobachtete. Pass auf, das ist die nächste Kontrolle, sagte ich zu meiner Familie. Und tatsächlich, wir wurden angehalten, unsere Papiere geprüft und gefragt, was wir in der DDR wollten, denn diese Autobahn war keine Transitstrecke. Unsere Erklärung wurde ohne Kommentar zur Kenntnis genommen und wir zur Weiterfahrt aufgefordert. Eigentlich hatte ich keine Lust mehr weiterzufahren. Nur durch das guten Zureden meiner Frau und Sohn, habe ich mich überreden lassen.

 Zur großen Freude meines Sohnes wurden wir an der Autobahnabfahrt von Eberswalde von der Tochter, die im gleichen Alter wie mein Sohn war, abgeholt und durch die Stadt gelotst.

Der Empfang war herzlich. Beide K. hatten sich die Woche freigenommen, um mit uns viel zu unternehmen. Unsere Stimmung wuchs. Das Wohnhaus der Familie K. sah gepflegt aus und war gemütlich eingerichtet. Ein großer Nutz- aber auch Blumengarten lud zum Sitzen ein. Es sollte allerdings nicht lange dauern und der erste Wermutstropfen wurde in die gute Stimmung geschüttet. Herr K. machte mich darauf aufmerksam, dass ich noch am gleichen Tag zur Polizei müsste, um uns anzumelden und den Zwangsumtausch vorzunehmen. Das Polizeigebäude sah trist aus. Meine Stimmung sank. In einem langen Flur warteten viele Leute. Keiner machte jedoch Anstalten, an eine der Türen zu klopfen, um das Anliegen vorzubringen. Nachdem ich mir die Schilder an den Türen angesehen hatte und wusste wo ich hin musste, habe ich geklopft und bin ins Zimmer gegangen. Es war ein relativ großer Raum. Hinter einem Tresen saßen mehrere Polizistinnen, die mich irritiert ansahen aber nichts sagten. Ich habe freundlich mein Anliegen vorgebracht und wurde kühl aber sofort abgefertigt. Frohgemut, wenn auch von den Leuten im Flur empört angesehen, fuhr ich zum Tanken, denn es galt, das umgetauschte Geld wieder unters Volk zu bringen. Herr K., der mich begleitete, sagte, es gäbe in der Stadt von knapp 70-tausend Einwohnern nur vier Tankstellen.

Von zu Hause war ich es gewöhnt, an die Tankstelle zu fahren, selbst zu tanken und an der Kasse zu bezahlen. Bevor ich auf die Besonderheit des Tankens in der DDR hingewiesen werden konnte, bin ich an die Zapfsäule gefahren, habe mir die Zapfsäule genommen und wollte tanken. Von einer resoluten Tankwärterin wurde angebrüllt und auf mein ungehöriges Eigentanken ausgeschimpft und dazu noch auf gehässige Weise gefragt und aufgefordert, meine Umtauschquittung des Westgeldes vorzuzeigen. Diesmal war es Herr K. der mich zum Bleiben ermunterte.

Zwei Tage später haben wir gemeinsam Ostberlin besucht. Die Entfernung beträgt ca. 50 KM. Auf dem Hinweg war mir schon aufgefallen, dass in Höhe einer Abfahrt die Geschwindigkeit zu drosseln und auf die Überholspur auszuweichen war. Ich fragte Frau K., nachdem wir wieder bei dieser Abfahrt waren, warum das so sei. Sie erklärte mir, dass dort in Wandlitz die Prominenz wohne und ohne anzuhalten mit ihren Regierungs -Volvos  auf die Autobahn führen. Zu erwähnen ist, dass in der DDR die Fahrzeuge, bevor sie auf die Fahrspur wechseln, an der Auffahrt anzuhalten haben und erst fahren dürfen, wenn die Autobahn frei ist.

Die Besichtigung Ostberlins hat uns gefallen. An einem größeren Gebäude stand eine längere Schlange von Leuten, die irgendetwas kaufen wollten. Herr K. stürzte sofort darauf zu, und fragte, was es gebe. " Theaterkarten " Auf meine erstaunte Frage erklärte er mir,

dass er ständig eine Tüte dabei habe, um Schnäppchen zu erwischen.

Gegen Mittag haben wir den Bahnhof Alexanderplatz besichtigt. Unsere beiden Kinder, Dirk und Susanne, schauten sich von einem Podest oberhalb des Bahnsteigs einen ankommenden U-Bahnzug an. Neben ihnen hasteten Leute eine Rolltreppe runter, um den Zug zu erreichen. Uns war nicht aufgefallen, daß auf dem Podest ein Schild aufgestellt war, dass den Zugang nur mit entwerteter Karte erlaubte. Sofort kamen zwei Zivilisten auf die Beiden zu und fragten nach dem Fahrkarten, obwohl zu erkennen war, dass Beide sich nur den Zug anschauen wollten. Ich bin sofort auf die Zivilisten zugegangen und habe gefragt, was das sollte. Diese hielten mir ganz kurz einen Ausweis vor, den ich mir greifen und ansehen wollte, der aber sofort zurück gezogen wurden. Jetzt wurde ich nach meinem Ausweis gefragt. Inzwischen hatte meine Frau das Geschehen mitbekommen und wollte auf uns zukommen. Dabei wurde sie von einem dritten Zivilisten am Kragen gefasst mit dem Hinweis" Bleiben sie mal hier, junge Frau " festgehalten.

Mit den beiden Zivilisten war ich in eine lautere Diskussion gekommen. Sie drohten mir eine Strafe an und wollten mich mitnehmen zur Wache oder Vorgesetzten. Herr K. stürzte auf uns zu und hat alle drei Aufseher, oder was sie sonst waren, tatsächlich beschwichtigen können. Wir durften gehen, waren aber stinksauer. Die beiden Kinder haben das eher locker gesehen. Mich hat vor allem erstaunt, wieviel unproduktive Leute doch hier rumlaufen. Darauf konnte mit Herr K. keine vernünftige Antwort geben. Es war nur froh, dass wir so glimpflich davon gekommen waren

Die Tage in Eberswalde haben tiefe Einblicke in das tägliche Leben und Verhalten der Menschen möglich gemacht. Bedrückend war das dürftige Angebot an guten Lebensmitteln und Obst. Die Geschäfte waren lieblos eingerichtet, zum Teil spartanisch. Die Bedienung war mürrisch und lustlos. Allerdings waren die Preise für unsere Verhältnisse sehr günstig. Wenn man jedoch weiß, dass höchstens 500 Ostmark verdient wurden, keinesfalls preiswert.

Nach einer Woche haben wir uns auf den Rückweg gemacht. Unsere gemeinsamen Eindrücke haben wir im Auto diskutiert und waren uns einig, schöne Tage erlebt zu haben. Kurz hinter Berlin, schon auf der Transit-Autobahn, vertieft in angenehme Gespräche, habe ich am Autobahndreieck, anstelle Richtung Magdeburg zu fahren, die Abfahrt Leipzig erwischt. Die Aufregung war groß. Was tun? Wenden auf der Autobahn kam nicht infrage. Also weiter bis zur nächsten Abfahrt, dort wenden und zurück Richtung Magdeburg. Kaum waren wir einen Kilometer gefahren, stand auf der Autobahn eine Polizeistreife und hielt uns an. Erste Frage: Wo wollen sie hin? Ich sagte: ich habe die Abfahrt Richtung Magdeburg verpasst, wollte zur nächsten Abfahrt, dort wenden und zurück fahren.

Freundlich winkte mich ein Polizist über den Mittelstreifen auf die Gegenfahrbahn Richtung Magdeburg. Die Abwicklung am Grenzübergang Helmstedt war die letzte Prüfung. Obwohl kaum Pkws abzuwickeln war, wurde ich durch eine rote Ampel mitten auf dem Gelände zum Anhalten gezwungen. Weit und breit war kein weiteres Auto zu sehen. Nach etwas mehr als 5 Minuten schaltete die Ampel auf grün und konnte weiterfahren zum Schalter. Dort ging alles schnell und problemlos.

 Ich kann es nicht leugnen, und meine Familie hat es mir bestätigt, wir waren froh wieder im Westen zu sein. Auf weitere Besuche der DDR haben wir, wenigstens bis zur Wende, verzichtet.

Übrigens, noch heute verbindet uns eine tiefe Freundschaft mit unseren Eberswaldern.

 September 2003