Zeitzeugenberichte  - geteiltes Deutschland -

 

Ursula

 

Erinnerungen an die DDR                                                                                                                                   

Meine Vorfahren väterlicherseits waren aus Schlesien ( Trachenberg ) nach Preußen zugewandert und hatten sich in und um Berlin angesiedelt. Meine Großmutter nahm mich als 4-, 8-, und 12-jähriges Mädchen mit nach Berlin und in ihre Heimat LÖWENDORF b. Trebbin, Kreis Luckenwalde, in Brandenburg, südl . von Berlin.

Die noch dort wohnenden Verwandten lebten auf ihrem Kleinbauernhof, der nun jedoch verstaatlicht war. Seine Erträge mussten zum größten Teil an die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) abgeführt werden. Zum ersten Mal hörte ich das Wort „Plansoll“, gefolgt von einer Wand des Schweigens. Meine Großmutter, wie immer, schimpfte lauthals, die Verwandten aber kniffen die Lippen zusammen. Was das Wort  Plansoll bedeutete, wurde mir langsam klar, als ich einmal mit „aufs Feld“ gehen durfte. In sommerlicher Gluthitze mit Sense und Sichel den Acker abzuernten war härteste Knochenarbeit. Wir Kinder trugen die Garben zusammen, und ein Erwachsener baute sie zu sog. Hocken auf.

Auf der Tenne wurde noch per Hand gedroschen; ein Tagelöhner wurde als dritter Mann dazugeholt. Wir Kinder liebten es, Körner zu knabbern und die „Knüste“ (Kantenstücke) vom frisch gebackenen Brot. Welches Wunder tat sich auf, als wir auf dem Dachboden auf ein geheimnisvolles Zimmer stießen, das bis unter die Decke mit duftendem Korn angefüllt war! Wir schworen uns, nichts zu verraten, damit wir bis in alle Ewigkeit etwas zu knabbern hatten... 

Leider aber musste das Plansoll der LPG erfüllt werden,, und so wanderten Korn, Milch, Butter, Eier und selbst der Großteil der hausgebackenen Brote in die Produktionsgenossenschaft. Bitter war es, fast ohne Verdienst zu arbeiten, und kein westlicher Wohlstand in Sicht. Der HO-Laden blieb annähernd leer.

Vielleicht zum Trost, gab man mir, der Achtjährigen, ein dickes rotes Buch zum Lesen, `Das Kapital´........ andere Literatur war nicht vorhanden. Bis zu den ´Produktionsverhältnissen´ arbeitete ich mich durch; es schien, als ob hier, ähnlich wie in der Bibel, die Welt aus Erde, Himmel und Hölle bestand, nur dass sie ´Klasssen´ genannt wurden.

Jedenfalls lernte ich, dass es immer wieder Sklavengesellschaften gab, ähnlich wie bei Robinson Crusoe, der Lektüre, zu der ich als nächstes wechselte. Eine versöhnliche Synthese aus dem Geist der Aufklärung, eine Leihgabe von den anderen Verwandten, die jenseits der Dorfstraße wohnten. Sie besaßen eine Sägemühle, in der ebenfalls betrieblich gearbeitet wurde, jedoch noch selbständig. Auch hier gab es gewisse Dissonanzen mit dem Staat, denn die Kinder mussten  Mitglieder der FDJ sein. Auch ihr Schulalltag war fest verplant.

Sitzenbleiben gab es dort nicht, und es gab auch keine Lernbehinderungen oder schwach begabte Schüler; für alle eventuell auftretenden Probleme war der Lehrer verantwortlich. Wenn er die Schüler und Dorfleute nicht ideologisch bei der Stange hielt, war es um seinen Posten geschehen.(Dies wurde im Flüsterton diskutiert...) Als Lehrer wurden vorzugsweise Parteifunktionäre angestellt; ohne FDJ - oder Parteimitgliedschaft war kaum eine gesellschaftliche Stellung oder gar Karriere denkbar. Unglücklicherweise wollte der ältere Sohn des Sägemüllers Lehrer werden. Er rettete sich aus dem Dilemma, indem er in den Westen ging („machte“ nach Westen).

Meine Verwandten hatten noch ziemliche Distanz zum DDR-Staat, trotzdem konnten sie selbständig arbeiten, weil ihre Berufe sehr gefragt waren. Ähnlich war es bei den Verwandten in Köpenick. Sie besaßen einen Klempnereibetrieb und konnten sich nach dem Krieg angesichts der großen Nachfrage sehr gut aufbauen. In der Großstadt wurde allerdings auch nicht nach dem Parteibuch gefragt, wenn der Kartoffelsalat die Toilette verstopfte...

Meine Eltern halfen oft aus mit „Care – Paketen“, und wenn sie später alljährlich einmal Urlaub auf  dem Waldgrundstück am Tonsee machten, brachten sie Bananen, Korsagen und Nylonstrümpfe mit. Es war nicht ganz leicht, sich mit dem Zwangsumtausch von 35,-DM Westgeld zu arrangieren; hin und wieder kaufte man etwas im Intershop oder Exquisit-Laden, um es den Verwandten zu schenken. Manchmal waren es auch Schallplatten oder Noten für den eigenen Bedarf, aber überwiegend profitierten die Verwandten vom Zwangsumtausch. Als dann die Wünsche sich in Richtung Levis, Jaffa und Triumph konkretisierten, wurde es schwierig, die wirtschaftliche Balance zu halten.

Gott sei Dank durften die Ostrentner eines Tages reisen, so dass sie schließlich ihre Wünsche und die ihrer Familie selbst  erfüllen konnten. So manch einer hatte noch Westgeld in der Matratze und konnte sich damit einen schönen Urlaub gönnen. Anfangs half der Westen noch mit einem Taschengeld, später entstanden dann auch  Westkonten.-Aber ehe es soweit war und die Reisebewegung nur einseitig verlief, war jeder Besuch „drüben“ mit enormen Verwaltungsaufwand verbunden. Bei längeren Verwandten- besuchen war es erforderlich, eine „Aufenthaltsgenehmigung“ zu erhalten, ähnlich einem Visum bei Auslandsreisen, jedes mal ein Verwaltungsakt von mehrwöchiger Dauer. Damit wollten sich die östlichen Staatsorgane die Anerkennung des Westens erzwingen.

Die verwandtschaftlichen Beziehungen mussten dabei nachgewiesen werden, und der tatsächliche Aufenthalt war beim `Blockwart´ an- und abzumelden. Wollte man womöglich noch am Wochenende die Datscha draußen vor der Stadt bewohnen, war der Vorgang an jenem Ort zu wiederholen. Wie man merkte, ein perfekter Überwachungsstaat. Wer sich nicht freiwillig anpaßte  bekam  „Besuch“!

Was für ein Wunder, dass keiner unserer Verwandten Parteimitglied war und doch die meisten angesehen und beliebt waren. Dies rührte wohl von den positiven  „Beziehungen“ ( „Vitamin B“) her, die sie hatten, sei es durch Handwerk, Vereine oder Nachbarschaften. Etliche waren im Sport engagiert; einige segelten; ein Onkel bekam eine Auszeichnung im Breitensport („verdienter Arbeitersportler“) ; nach ihm wurde ein Stadion am Müggelsee benannt. Ich erinnere mich noch, wie Onkel Wilhelm allmorgendlich und abendlich am Seeufer entlang lief  und beim anschließenden Keulenschwingen den Donauwalzer intonierte.

Ein anderer Onkel, ein kritischer Geist, konnte ohne Parteibuch in Pankow keine Karriere machen, und auch für die Kinder schien die schulische Zukunft aufgrund dessen trübe. Nachdem Konfirmation und Jugendweihe absolviert waren, „machte man rüber“ in den Westen, und das Fortkommen war gesichert. Immer mehr Menschen suchten ihre Zukunft in Westdeutschland, wo materieller Wohlstand winkte und politische Freiheiten garantiert wurden.

Ich erinnere mich an den Tag des Mauerbaus, den 13.  August 1961. Einer meiner Jugendfreunde aus Ostberlin hatte Geburtstag, und ein gewaltiger Schock ging durch die Gästeschar! Zu Recht, denn mit dem „kleinen Grenzverkehr“ hatte es nun ein Ende.

Die Grenzstreifen wurden vermint, strenge Besuchsregelungen und Einfuhr-bestimmungen erlassen, insbesondere Presse- und Medienkontrollen wurden verschärft und Todesschützen auf eventuelle Flüchtlinge angesetzt. Wachttürme und Stacheldraht kennzeichneten den Todesstreifen, die ständige Patrouillen verbreiteten Beklommenheit. Gesinnungsschnüffelei und Bespitzelungen vergifteten den Alltag, Registrierungen wurden zentral erfasst, der Weg von und nach Berlin wurde durch scharfe Grenzkontrollen erschwert. Immer wieder wurden verzweifelte Fluchtversuche gemacht mit abenteuerlichen Methoden ( Tunnelbau, Schwimmen durch Gewässer, Fesselballon u.v.m., Flucht über Drittländer, ausländische Botschaften usw.).

Für Westdeutsche bedeutete dies keine direkte Gefahr, solange man sich den Regularien unterwarf.

Im folgenden Jahr machten wir Urlaub im Wochenendhaus der Verwandten, und ich hatte – als Siebzehnjährige – eine Clique von Jugendlichen gefunden, mit denen ich mich täglich traf und die Freizeit verbrachte. Zwischen uns war der Umgang sehr zwanglos; als sog. „Westfrau“ gehörte ich zu den Pionieren der Popkultur und als solche wurde ich sofort mit Musikwünschen überschüttet. Es gab sogar direkte

„Bestellungen“ von Sammelobjekten wie Schallplatten, Matchbox-Autos, Aufnäher , Meinungsbuttons  u.v.m. Im Austausch gab es Ostprodukte wie Andenken, Biergläser, Musikalien u. a. Kleinigkeiten, die man verhökern konnte.

Ein Jahr darauf machte ich als Schülerin die obligate Klassenreise nach Berlin, und bei der Gelegenheit besuchte ich die Clique. Eine Schallplatte hatte ich durch die Grenzkontrollen geschmuggelt, ein Ohrwurm: Barbara Ann, d i e Sensation! Es war der Renner von unseren Tanzparties in der Dorfkneipe und höchst willkommen. Später gelangten auch die Beatles und die Stones auf dieselbe Art in den Osten und auch einige Matchbox-Modelle.

Wieder ein Jahr später brachte ich meine Klarinette mit, und wir musizierten in dem Jugendclub, einer ehemaligen Keller-Eckkneipe in Karlshorst. Dort sang ich erstmalig in ein Mikrofon und spielte Schlagzeug. Das war ein Brückenschlag, denn dort musizierten Kaderkinder und Kellerkinder! Und nachts donnerten wir mit dem Motorrad durch die leergefegten Straßen, denn um 24 Uhr musste man die Grenze passiert haben: East meets West.

Noch ein letztes Mal konnte ich interessante Aspekte des DDR-Alltags kennen lernen. Einer der Jugendfreunde hatte sich mit einer jungen Ärztin liiert; sie pendelte wöchentlich zwischen Halle und Berliner Charité. Die Traumbeziehung zwischen Facharbeiter und sozialistischer Intelligenz endete allerdings in einer 2-Zimmerwohnung im Plattenbau mit einem Kind, für das sich niemand recht zuständig fühlte. Nach einem Jahr war die Ehe geschieden. Die Revolution konnte nicht stattfinden. Die Frau ging zurück zu ihren Eltern; das Kind kam in eine Kinderkrippe. Er behielt die Wohnung.

Für mich blieb aus diesem Jahr (1967 ) die Erinnerung an eine Aufführung von Brechts Dreigroschenoper im Theater Unter den Linden in einer spektakulären Felsenstein-Inszenierung. Der Regisseur machte weltweit von sich reden mit sehr gewagten Inszenierungen, in denen auch staatliche Organe und der Polizeistaat der DDR dargestellt und demaskiert wurden. Hier dämmerte die Revolution, aber auch hier blieb der Kontrast zwischen Rentnerbus und Haute Volée.

In Westberlin und im gesamten Westen regte sich der Geist der Studentenbewegung.