Zeitzeugenberichte - geteiltes Deutschland -

 

Eckard 

Eine Reise in Deutschland - von West nach Ost und zurück -

Im Jahre 1975 war es wieder möglich, mit dem eigenen PKW in die damalige DDR zu reisen. Ziel war das kleine Landstädtchen Schwanebeck im Kreis Halberstadt mit ca. 500 Einwohnern. Dort bin ich von 1947 - 1955 zur Schule gegangen und kannte die politischen Verhältnisse noch recht gut. Grenzerfahrungen hatte ich allerdings nicht.

Ein Wiedersehen mit Freunden aus den 50er Jahren lag mir am Herzen. Ein befreundetes Ehepaar besorgte für meine Frau und mich ein Einreisevisum. So konnte der lang geplante Besuch erfolgen.

Mit Herzklopfen und einer gewissen Anspannung näherten wir uns dem Grenzkontrollpunkt Helmstedt-Marienborn. Jetzt hieß es aufpassen: Richtig einordnen, PKW-Spur - LKW-Spur - Einreise DDR oder Transit DDR. Keine unangemessenen Bemerkungen dem Grenzbeamten gegenüber. Keine Zeitschriften oder Zeitungen offen liegen lassen. Sie galten als Propagandamaterial und verursachten einen schädlichen Einfluß auf die angeblich linientreuen DDR-Bürger, man sprach auch von Volksverhetzung. Die westliche Berichterstattung war nicht DDR-konform. Sie untergrub die sozialistische Moral.

Dennoch hatte die 15jährige Tochter unserer Bekannten gebeten, die Zeitschrift BRAVO mitzubringen. Obwohl etwas verdeckt, wurde sie gesehen und sofort mit der Bemerkung „Zeitschriften dieser Art verbreiten westliche Unmoral und sind mit dem Geist der sozialistischen Jugend nicht vereinbar". Überrascht hat jedoch, daß uns nach dieser kurzen Diskussion die Zeitschrift nach Abschluß der Kontrolle wieder zurückgegeben wurde.

Lange warten mußten wir bei der Paßkontrolle. Der Grund dafür: Ich trug zu dem Zeitpunkt einen Bart, während das Paßfoto diesen nicht aufwies. Das wurde natürlich beanstandet. Meine Frau konnte zum Glück meine Identität bezeugen.

Bei der Gepäckkontrolle hatten wir Glück. Es war ausreichend, den Kofferraum zu öffnen. Die Koffer konnten geschlossen bleiben. Die letzte Station am Schluß des Durchlaufs war die Bank: Ein Pflichtumtausch im Verhältnis 1 Mark West gegen 1 Mark Ost war erforderlich. Bestimmte Tagessätze waren vorgeschrieben. Unsere Westmark hatte damals aber einen Gegenwert von ca. 4 Ostmark.

Nun konnten wir die Reise fortsetzen. Wir waren erst einige Kilometer gefahren, als wir bereits Berührung mit der Polizei hatten. Es wurde beanstandet, daß ich zu wenig Abstand vom Auto meines Vordermannes gehalten hatte, also 10,-- DM waren fällig. Dann gings auf der sehr holprigen Autobahn A 2 weiter bis zur Abfahrt ....

In Schwanebeck kamen wir dann über die zum Teil sehr schlechten Landstraßen gut an. Übernachten konnten wir bei unseren Freunden. Es war auch gleich ein Platz für unser Auto im Hof vorhanden, so daß es nachts geschützt und hinter einer verschlossenen Tür stand.

Am nächsten Tag machten wir uns dann mit unseren Freunden nach Halberstadt auf. Dort mußten wir uns auch noch in einem Büro den Stempel für unsere Aufenthaltsbescheinigung holen. Natürlich mußte man in einer Schlange stehen. Dann bekamen wir von einer in Uniform gekleideten Dame den Stempel. Auch diese Aktion war für uns spannend.

Ein Bummel durch Halberstadt war sehr aufschlußreich. Unsere Freunde meinten, wir sollten uns für das getauschte Geld doch ein Andenken kaufen. So suchten wir ein kleines Geschäft auf, das Handarbeiten und kunstgewerbliche Dinge verkaufte. Man durfte nichts berühren. Nur bei ernsthaftem Interesse wurde erlaubt, das Gewünschte aus der Nähe zu betrachten. So kauften wir eine Kleinigkeit aus dem Erzgebirge. Anschließend gingen wir alle in eine Kaffeebar, denn das war schon für unsere Freunde etwas Besonderes.

Ansonsten gab es in Halberstadt die „Exquisit-Läden". Hier konnte man z.B. besondere Lebensmittel oder Genußmittel zu enorm hohen Preisen kaufen, was sich der Normalverdiener natürlich nicht leistete. Auch für Oberbekleidung gab es entsprechende Läden. Aber es wurde auch hinter der Theke weg verkauft, die sogenannte „Bückware". Das bedeutete, daß man sich mit der Verkäuferin entweder gut verstand oder vielleicht die Gefälligkeit mit einer guten Wurst aus der Hausschlachtung belohnte.

Uns blieb noch etwas Geld vom Zwangsumtausch übrig. So suchten wir eine sogenannte Kaufhalle auf, um vielleicht für abends noch eine Flasche Sekt zu erstehen. Hier standen in den Regalen reihenweise Spreewaldgurken. Einige Seifenstücke waren zu sehen, auch Mehl und Zucker befand sich in den Regalen. Eine Flasche Sekt fanden wir aber glücklicherweise auch.

So sehr erfolgreich war der Einkaufsbummel nicht. Wir hatten es auch nicht erwartet. Denn es war uns schon bekannt, daß wir keine Waren westlicher Art - wie wir es gewohnt waren - vorfanden. Unseren Freunden waren die bestimmten Marken aber sehr gut aus dem Fernsehen bekannt. So äußerten sie schon mal in ihren Briefen diverse Wünsche, die wir dann gern durch ein Postpaket erfüllt haben.

Da Schwanebeck kein Restaurant aufzuweisen hatte, wurden wir von unseren Freunden in ein Gasthaus im Nachbarort eingeladen. Einen Tisch hatten sie schon 4 Wochen vorher reservieren lassen. Als wir in das Restaurant eintraten, hieß es zunächst mal warten bis man eingewiesen wurde. Essenszeit war von 12.00 - 14.00 Uhr. Das Rauchen war verboten. Es wurde ohne jede Freundlichkeit bedient. Doch über den Gesamtpreis von 20,-- Ostmark für 4 Personen haben wir nur gestaunt.

Einen Tag später besuchten wir die wunderschöne Stadt Wernigerode. Sie war schon zu dem Zeitpunkt ein Aushängeschild. Die vielen alten Fachwerkhäuser und das originelle alte Rathaus beeindruckten uns sehr. Auch das Schloß, oberhalb der Stadt auf einem Berg gelegen, haben wir besichtigt. Es gab dort sehr viele schöne alte Dinge zu sehen. Doch wir wurden auf Schritt und Tritt von einer weiblichen Person bewacht. Sicher hatte man uns schon beim Eintreten als Westler erkannt. Da hieß es vorsichtig sein, nichts berühren, am besten auch nicht viel sagen. Das rief bei uns Unsicherheit und Unbehagen hervor. Obwohl die Schloßbesichtigung interessant war, atmeten wir dann nachher draußen wieder auf. Nun konnten wir uns vorstellen, wie man in der DDR unter der Unfreiheit gelitten haben: Die Bewachung der Bürger.

Als wir dann unsere Rückreise wieder antraten, waren wir von all diesen Erlebnissen tief beeindruckt. Schon während der Fahrt ließen wir alles nochmal an uns passè laufen. Doch nochmals mußten wir den Grenzübergang Marienborn passieren. Es machte sich wieder ein großes Unbehagen bemerkbar. Oder war es gar Angst? Die Paßkontrolle verlief harmlos, die übliche Prozedur. Dann wurde das Auto von unten abgespiegelt, jedoch ohne Befund. Der Grenzpolizist forderte mich auf, die Rücklehne nach vorn zu klappen. Nach einem Versuch war es mir nicht möglich, ich kannte mich da nicht aus. Ich bat ihn, es selbst zu tun. Dazu war er auch nicht in der Lage. Er ließ es dann auf sich beruhen, reagierte aber sehr gereizt und verärgert. Danach wollte er den Kofferraum inspizieren. Öffnen sie mal den Sack, sagte er barsch. Es kamen zwei Wagenräder zum Vorschein, die uns unsere Freunde als Geschenk mitgegeben hatten. Es war ja nicht verboten, doch der Polizist fand es wohl sehr ungewöhnlich. Sein Kommentar: Arme Bundesrepublik! Nicht einmal Wagenräder kann sich ein normaler Bürger leisten. Daß sie für Dekorationszwecke auf unserer Terrasse gedacht waren, konnte er sich nicht vorstellen. Ich habe mich jeglichen Kommentars dazu enthalten, um die angespannte Situation nicht noch zu verschärfen.

Unsere Fahrt heimwärts setzten wir nach dieser Anspannung glücklich fort. Wir haben dann zu DDR-Zeiten unsere Freunde noch einige Male besucht und halten bis heute guten Kontakt.

Es war für uns auch immer wieder beeindruckend, wie bescheiden sie lebten, wie sie sich über jedes schöne Teil freuen konnten. Auch die Hilfsbereitschaft und das Füreinander unter den damaligen DDR-Bewohnern war sehr groß. Man half sich untereinander, wo man konnte.

Jedoch die Grenzübergänge blieben fortan für uns mit Spannung und Ängsten verbunden.

Mai 2003