Zeitzeugenberichte  - geteiltes Deutschland -

 

Friederike-Luise 

Der 17.Juni 1953

Am 17.Juni 1953 war ich 14 Jahre alt und lebte in Jena/Thür. ,einer kleinen Stadt, die durch Industrie und Universität geprägt war. Wir hatten die Abschlußprüfungen der 8.Klasse der Volksschule. Am Montag hatten wir Biologieprüfung und der Dienstag war frei, um noch für andere Fächer zu lernen. Wir wohnten auf einer Anhöhe der Stadt, Nachrichten aus der Stadt erreichten uns nur spärlich. Es kam bei uns ein Gerücht an, daß in der Stadt Unruhen wären. Diese Nachricht muß aber nicht sehr erschreckend gewirkt haben, denn meine Mutter bat mich, eine Nachricht zur Kollegin am Saalbahnhof zu bringen. Ich sollte meine Hausarbeiten verrichten und dann losgehen. Meine Mutter hatte Spätschicht am Westbahnhof. Als sie dort ankam, hörte sie, daß in der Stadt geschossen wird. Sie lief gleich noch einmal nach Hause, um zu verhindern, daß ich losging, aber ich war schon weg.

Ich lief rasch den Forstweg herunter und kam an der Hauptpost zum Stehen. Vor mir sah ich eine Straßenbahn, die aus den Schienen gehoben war und quer über die Straße stand. Auf ihr waren Menschen. Ein russischer Panzer versuchte die Bahn zu rammen. Plötzlich drehte sich der Panzer und fuhr auf die Post zu. Die Menschen und ich auch rannten in einen Türeingang. Später als sich alles beruhigt hatte setzte ich meinen Weg fort, aber nicht durch die Stadt, sondern durch das viel weitere Saaletal. Ich erledigte meinen Auftrag am Saalbahnhof und versuchte den Rückweg dieses Mal durch die Stadt. Überall standen russische Posten, aber ich konnte meinen Weg unbehelligt fortsetzen. Ich kam zum Markt und wollte gerade weiter zum Häckelmarkt, als plötzlich ein Soldat einen Warnschuß in die Luft schickte. Ich hatte große Angst und rannte zum anderen Ende des Marktes, dort stand ein Panzer. Ich habe mich an der Hauswand vorbei gedrückt und nur gehofft, daß der Panzer nicht losfuhr. Als das geschafft war, konnte ich dann ziemlich ohne Schwierigkeiten meinen Weg fortsetzen. Als ich am Westbahnhof ankam, schloß mich meine Mutter fest in ihre Arme.

Am selben Abend wurde in Jena der Ausnahmezustand erklärt. Nach 18 Uhr durfte man nicht mehr in einer Gruppe sich auf der Straße bewegen. Der Pförtner von Carl-Zeiß wurde am gleichen Abend standrechtlich erschossen .Er hatte die Nachrichten vom Streik, der in Berlin begonnen hatte und sich rasch über die ganze Republik verbreitet hatte, weitergegeben.

Ausgehend von den Arbeitern der Stalinallee in Berlin haben die Arbeiter damals gegen die enormen Erhöhungen der Arbeitsnormen protestiert. Diese Erhöhungen sind damals zurückgenommen worden. Nur durch das Eingreifen der Roten Armee konnte dieser Aufstand niedergeschlagen werden. Danach setzte in der DDR eine Verhaftungswelle ein. Viele unschuldige Menschen wurden mit schweren Zuchthausstrafen bedacht. Der Kurs wurde härter.

Die Rolle der Frau nach 1945

Wenn ich über die Rolle der Frau nach 1945 berichte, kann ich es nur an dem Beispiel meiner Mutter darstellen. Um über ihre Fähigkeiten und Schwierigkeiten, die sie zu bewältigen hatte, zu berichten ,möchte ich aus ihrem Leben vor 1945 etwas erzählen, denn alles Erleben und Entscheiden nach dem Zusammenbruch wurde nur möglich durch ihre Vorgeschichte.

Meine Mutter stammte aus einer alten Adelsfamilie Sie wurde 1901 in Brieg /Schlesien geboren. .Mit 1 ½ Jahren verlor sie die Mutter und mit 12 Jahren den Vater .Sie wurde von der Großmutter erzogen ,die sie im Alter von 19 Jahren durch Tod verlor .Ein Onkel, der ein Rittergut besaß bekam die Vormundschaft und nahm sie auf seinem Gut auf .Sie war dort Tochter des Hauses und wurde mit allen Arbeiten eines Gutshaushaltes vertraut gemacht.

Von 1925 warb der juristische Referendar Werner Schönfeld um die Hand meiner Mutter, aber erst nachdem mein Vater am 12.5.1930 zum Amtsgerichtsrat ernannt worden ist, heirateten meine Eltern im November 1931 in Tharandt. 1932, 1934 und 1935 wurden 1 Mädchen und 2 Jungen geboren .Mutter tritt im März 1933 der NSDAP und Vater im April 1933 der NSDAP und dem Allgemeinen Richterbund bei. Vater macht Karriere und wird im Sommer 1938 an das Oberlandesgericht nach Jena/Thür. versetzt. Er mietete eine 7 -Zimmer-Wohnung in einer Villengegend und ermöglicht seiner Ehefrau ein sorgenloses Leben. Für die Versorgung des Haushaltes und der Kinder wird Personal eingestellt. Als ich im Febr. 1939 geboren wurde, kam eine Kinderschwester ,die mich versorgte..

Als der Krieg am 1.9.1939 ausbrach meldete sich mein Vater selbst in den Krieg .und war hauptsächlich an der Westfront eingesetzt. Am 7.3.1945 ist unser Vater in Porz-Langel gefallen. Sein Bursche überbrachte noch in den Märztagen die Nachricht. Das bedeutete für uns und besonders meine Mutter den totalen Zusammenbruch. Bis zum Juli 1945 bekam meine Mutter noch das Gehalt meines Vaters, dann ging der Überlebenskampf los .Wovon sollten alle in der Familie ernährt werden? Meine Mutter besuchte öfters einen Bauern in Großschwabhausen. Diesen brachte sie Stiefel und Kleidung meines Vaters, Meißner Geschirr und Silbergegenstände und erhielt dafür Brot ,Kartoffeln, Rüben oder andere Lebensmittel. Sie wurde entnazifiziert und mußte Strafarbeit leisten. Das Personal war weggelaufen oder konnte nicht mehr bezahlt werden. Wir Kinder hatten immer Hunger und zankten uns untereinander um Eßwaren .Nachbarn hatten mit uns Mitleid und sammelten für uns Kartoffelschalen, woraus Knäckebrot gebacken wurde. Meine Mutter war immer froh, wenn wir irgendwo zu einem warmen Essen eingeladen wurden. Als die Amerikaner vorübergehend Thüringen besetzt hatten, zeigten sich diese besonders gegenüber uns Kindern sehr spendabel. Meine Mutter, die nie einen Beruf erlernt hatte, suchte eine Arbeit, dabei hat ihr unser Gemeindepfarrer geholfen. 1947 übernahm meine Mutter die Leitung der Bahnhofsmission in Jena/ West. Sie hatte Früh und Spätschicht, was sich auf die Versorgung der Kinder nicht gerade vorteilhaft auswirkte .Die Frühschicht begann morgens um 6 Uhr und endete um 14 Uhr, die Spätschicht dauerte von 14 bis 22 Uhr. Für meine Mutter wurde diese Aufgabe zu ihrer Lebensaufgabe, die sie bis 1956 ausübte, dann wurden die Bahnhofsmissionen geschlossen. Meine Mutter bekam in der SBZ und späteren DDR keine Pension, Rente oder dergleichen .Sie verdiente monatlich 1o8,- Mark und bekam für jedes Kind 10,- Kindergeld .Dieses Geld reichte nicht zum Lebensunterhalt .Wir bekamen viele Carpakete und Pakete von Verwandten aus dem Westen Durch die Kirche erfuhren fremde Menschen von unserer Notlage und schickten ebenfalls Pakete. Ohne diese Unterstützungen hätten wir sicherlich nicht überlebt .Ich wurde jedes Jahr wegen Unterernährung. zu einer Kur geschickt.

Die Versorgung des Haushaltes übertrug meine Mutter im wesentlichen auf ihre Kinder .Ihre körperlichen und seelischen Kräfte reichten für die Hausarbeit kaum aus. Da ich 1945 erst 6 Jahre alt war übertrug meine Mutter die Rolle des Vaters auf meinen 4 Jahre älteren Bruder, wodurch es zu erheblichen Konflikten kam .Die Schulaufgaben mußten von uns alleine bewältigt werden .Meine Mutter konnte kaum etwas kontrollieren und begleiten.

Ein weiteres Problem war die Wohnung. Da unsere Wohnung im Krieg heil geblieben ist, mußten wir bald Zimmer abgeben. Eine Familie mit 5 Kindern zog ein, die Schwester meines Vaters kam aus Schlesien, eine Opernsängerin wohnte bei uns und eine Mitarbeiterin eines Museums. Diese vielen Menschen mit ihren Eigenarten und ihren Problemen waren für uns Kinder eine Bereicherung , aber für meine Mutter schwer zu verkraften.

Im Oktober 1949 wurde die DDR gegründet .Meine Mutter sah sich einem erneuten autoritären System gegenüber .Da wir uns zur Kirche hielten, hat unsere Familie große Schwierigkeiten erfahren. Wir konnten alle nicht eine höhere Schule besuchen, bzw. mußten diese bei den Unruhen des 17 .Juni 1953 verlassen .Mein Bruder flüchtete 18 jährig in den Westen. Sein 1 Jahre älterer Bruder wurde 1955 wegen eines Wirtschaftsvergehens zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt

Meine Mutter hat auf ihre eigene Art die Probleme gemeistert, wenn auch ein geordnetes ,liebevolles Familienleben dabei nur selten möglich war Einige ehrenamtliche Helferinnen der Bahnhofsmission waren ihr durch ihre Gespräche Ratgeber und Helfer bei der Bewältigung von Problemen .Sie pflegte ein Damenkränzchen mit Frauen von ehemaligen Kollegen ihres Mannes .Aber vor allen Dingen half ihr durch diese schwere Zeit ihre innere Haltung. Wenn meine Mutter nicht in ihrer Kindheit und Jugendzeit schon mit Verlusten umzugehen gelernt hätte und im Haushalt auf dem Rittergut ihres Onkels praktische Fähigkeiten erworben hätte, wäre ihr Leben nach 1945 sicherlich anders verlaufen. Da sie für sich und ihre Kinder Wohnraum hatte ,blieb sie bis 1956 in Jena wohnen und ist erst dann über Berlin in den Westen geflohen. Meine Mutter wurde 93 Jahre alt.

Mein Bruder W. wird verhaftet

Im Sommer 1955 arbeitete ich als Praktikantin in Bad Kösen /Thür. In einem Kinderheim. Wir hatten gerade ein paar Tage frei, die ich Zuhause in Jena verlebte. Ich saß beim Friseur als meine Mutter kam und mir zuflüsterte, ich sollte nicht erschrecken, es könnte sein, daß in der Wohnung Polizei wäre, wenn ich nach Hause käme. Ich hatte große Angst auf dem Heimweg. In der Wohnung war niemand. Ich schaute hinter jeden Schrank, ohne Erfolg. Dann kam meine Mutter. Sie berichtete, daß am Nachmittag 2 Leute von dem Staatssicherheitsdienst da gewesen wären, die meinen Bruder W. sprechen wollten. W. war 21 Jahre alt und durchlief gerade eine Drogistenlehre. Zur Zeit war er krank geschrieben wegen eines operativen Eingriffs. Wilhelm hatte vor wenigen Monaten seinem Bruder H., der in Hamburg lebte, eine Schreibmaschine geschenkt, die er in Ostberlin kaufte und dann in Westberlin verschickte. Da man beim Kauf solcher wertvollen Dinge immer seinen Personalausweis vorlegen mußte und der Verkäufer sehen konnte, daß mein Bruder aus Jena stammte, zeigte er ihn an. Unsere Familie wurde mehre Monate bespitzelt und der Briefverkehr kontrolliert Bei dem Besuch im Sommer 1955 wurde mein Bruder nach der Schreibmaschine gefragt, auch nach Fotoapparaten, die hatte mein Bruder aber alle. Er wurde zum Verhör mitgenommen. Danach kam er wieder auf freien Fuß und durfte mit seinem Bruder in Hamburg telefonieren .Dieser schickte die Schreibmaschine an eine Adresse in Westberlin und mein Bruder durfte diese holen. Er überlegte kurz, sich abzusetzen, wollte aber sein Lehre erst beenden. Obwohl mein Bruder die Schreibmaschine wieder geholt hatte, kam es zu einem Strafverfahren wegen Wirtschaftsvergehen. Mein Bruder wurde zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt, die er in Jena, Gera und Waldheim absitzen mußte. Man hat meinen Bruder dort wie einen Schwerverbrecher behandelt und ihm z.B. auch die Haare abrasiert.

Unsere Familie war durch diese Angelegenheit sehr belastet. Ich unterbrach im Winterhalbjahr 1955 meine Berufsausbildung und blieb bei meiner Mutter., um ihr beizustehen.

Als mein Bruder das erste Mal verhaftet wurde, haben wir gemeinsam ein Luftgewehr, welches sich im Kleiderschrank meines Bruders befand, auseinandergenommen und die Teile in der Wohnung versteckt. Später hat meine Mutter diese Teile in der Saale verschwinden lassen. Wir haben in der ersten Zeit immer mit einem Besuch der Stasi gerechnet und hatten große Angst. Als mein Bruder entlassen wurde, kam er ein paar Tage früher als erwartet und zwar nachts. Er muß einen Wohnungsschlüssel besessen haben, denn eines morgens lag er mit kahl geschorenen Kopf in seinem Bett. Mein Bruder muß Schlimmes erlebt haben, aber er durfte nicht darüber sprechen. Er setzte seine Lehre bis zum Abschluß fort und ist im Frühjahr 1957 in den Westen geflüchtet.